Schwarzer Regen
selbst abrechnen.
Hintermann lag noch immer auf dem Boden seines Wohnzimmers. Er hatte nicht mal versucht, um Hilfe zu rufen. Mit angstgeweiteten Augen starrte er Lennard an. »Hören Sie«, rief er verzweifelt. »Ich wollte das Mädchen nicht …«
Lennard ging gar nicht darauf ein. Der Anblick dieses Jammerlappens machte ihn nur noch wütender. Typen wie er vergingen sich an Kindern, weil es die einzigen Menschen waren, die noch schwächer waren als sie selbst. Er |63| durchtrennte die Plastikfesseln, packte Hintermann am Kragen und zerrte ihn auf die Beine.
»Heißt das … Sie lassen mich …«, fragte Hintermann hoffnungsvoll.
Zur Antwort schlug ihn Lennard mit der Faust ins Gesicht, so dass er zurücktaumelte und beinahe wieder auf den Boden gefallen wäre. Blut strömte von seiner aufgeplatzten Unterlippe. »Was … was …«
»Wehr dich, du Schwein!«, sagte Lennard.
Hintermann hob abwehrend die Hände. »Nein, bitte, hören Sie mir zu! Ich …«
Lennards rechte Faust traf Hintermanns Leber in einem bösen Aufwärtshaken. Er krümmte sich und brach zusammen.
Oh nein, so billig kam die Drecksau nicht davon. Lennard zerrte ihn erneut am Hemdkragen hoch. »Wehr dich, verdammt noch mal!«, schrie er.
Hintermann hatte Tränen in den Augen. Er machte einen halbherzigen Versuch, Lennard gegen die Brust zu boxen.
Als sei dies ein verabredetes Startsignal, prasselte ein Trommelfeuer von Fausthieben auf Hintermanns Gesicht und Oberkörper ein. Er stolperte zurück, blieb mit dem Rücken zur Wand stehen und hielt die Unterarme vors Gesicht.
Lennards Arme schienen nicht mehr ihm selbst zu gehören. Wie zwei außer Kontrolle geratene Maschinen droschen sie auf den weichen, trägen Sack voller Knochen und Gedärme vor ihm ein. All der Frust, all die Wut der letzten Jahre entluden sich in einem Gewitter, das er nicht mehr kontrollieren konnte.
»Hören Sie auf! Sie schlagen ihn ja tot!«
Allmählich kam Lennard zur Besinnung. Er ließ von Hintermann ab, der geräuschlos zu Boden sackte, und |64| drehte sich schwer atmend um. In der Tür stand Fabienne Berger. Mit aufgerissenen Augen starrte sie auf Hintermann. Sie kniete sich neben ihn und packte ihn an der Schulter. »Können Sie mich hören?«
Blut strömte aus seiner Nase und aus mehreren Platzwunden an den Brauen, den Lippen und am Kinn. Seine Augen waren rot und zugeschwollen. Er stöhnte, nickte aber.
Berger half ihm in den Ohrensessel in der Ecke. Mit vorwurfsvollem Blick wandte sie sich an Lennard. »Was haben Sie mit ihm gemacht!«
Er betrachtete ihre dunkelbraunen Augen und fühlte sich plötzlich wie ein Schüler, der von seiner Lehrerin beim Schummeln erwischt wurde. »Das … das Dreckschwein hat es doch nicht anders verdient!«, verteidigte er sich.
Hintermann drehte den Kopf und blickte Lennard aus schmalen, verquollenen Augen an. »Ich habe nichts getan!«
Sofort schoss wieder heiße Wut durch Lennards Adern. Er wollte sich erneut auf das Schwein stürzen, doch eine Handbewegung von Berger reichte, um ihm Einhalt zu gebieten. »Schluss jetzt!«, befahl sie. »Den Rest überlassen wir besser der Polizei!«
»Polizei?« Lennard lachte hämisch. »Vergessen Sie’s! Die werden gar nichts machen. Unser Kinderfreund hier hat ja nichts Unrechtes getan, nur mit einem fremden Mädchen Mensch-ärgere-Dich-nicht gespielt. Die werden nicht mal herkommen, geschweige denn ihn einbuchten.« Er machte einen Schritt auf Hintermann zu. »Aber ich werde diesen Dreckskerl das nächste Mal zum Krüppel schlagen, wenn er ein Kind auch nur ansieht oder sich ihm auf weniger als zwanzig Meter nähert!«
Hintermann senkte den Kopf. Tränen mischten sich mit dem Blut auf seinen Wangen. »Ich … ich verstehe Sie ja«, stammelte er. »Aber bitte glauben Sie mir, ich wollte |65| Yvonne nichts tun. Sie … sie hat mich nur so sehr an meine Lilia erinnert …«
»Lilia? Wer ist Lilia?«, fragte Berger.
Hintermann deutete mit einem zitternden Finger auf die Kommode mit den Bilderrahmen. Einige zeigten ein kleines Mädchen in Yvonnes Alter, mit denselben langen, dunklen Haaren. »Sie … sie ist meine Tochter. Ich habe sie seit fünf Jahren nicht gesehen. Ich weiß nicht mal, wo sie ist. Ihre Mutter … ist eines Tages einfach verschwunden und hat sie mitgenommen. Ich habe jahrelang nach ihnen gesucht …« Seine Stimme brach. »Aber ich habe sie nie wiedergesehen.« Er weinte eine Weile.
Lennard starrte fassungslos auf den Mann, den er zusammengeschlagen hatte,
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