Schwarzer Regen
gern. Aber ich fürchte, deine Stellung hier in der Redaktion ist in letzter Zeit ziemlich wacklig geworden. Du solltest dich nicht mit den falschen Leuten anlegen!«
Faller lächelte ihr falsches Lächeln und nickte. Du auch nicht, lieber Dirk, dachte sie, während sie das Büro verließ. Du auch nicht!
|71| 8.
Lennard richtete das Teleobjektiv auf die Zielperson, als sei es der Lauf eines Präzisionsgewehrs. Wenn er jetzt auf den Auslöser drückte, hatte das eine ähnliche Wirkung, als würde ein Geschoss dem Mann das Rückgrat zerfetzen und ihn für immer an den Rollstuhl fesseln.
Er zögerte, hielt einen Moment die Luft an wie ein Schütze, der nicht will, dass ihm die Atembewegung die Kugel verreißt. Vertraute Zweifel stiegen in ihm auf. Welches Recht hatte er, einen Fremden heimlich zu fotografieren, sein Leben zu zerstören? Was ging ihn das überhaupt an? Warum war er hier?
Wie jedes Mal wischte er die Zweifel beiseite. Was der Mann tat, war Unrecht. Es war seine eigene Schuld, wenn sein Leben zerstört wurde. Außerdem brauchte Lennard den Job – Menschen beobachten war das Einzige, was er wirklich konnte.
Die Zielperson legte ihren Aktenkoffer auf den Tisch in dem kleinen Café auf der anderen Straßenseite und klappte ihn auf.
Klick.
Dass er mit seiner Kontaktperson an einem Fenstertisch saß, bewies die Ahnungslosigkeit und Naivität des Mannes. Glaubte er tatsächlich, er könne einfach so vertrauliche Unterlagen aus der Firma stehlen und bei einem Stück Schokoladenkuchen und einem Latte Macchiato verscherbeln? Er verdiente es wirklich nicht besser!
Der Mann nahm einen Umschlag aus dem Koffer.
Klick.
Er reichte ihn über den Tisch. Das Gesicht seines Gegenübers |72| wurde von einer ungewaschenen Gardine verdeckt, aber das machte nichts – Lennard hatte sein Bild schon oft genug auf dem Speicherchip.
Klick, klick, klick.
Die Kontaktperson steckte den Umschlag ein und reichte im Gegenzug einen kleineren Umschlag über den Tisch – den Lohn für den Verrat des Mannes.
Klick, klick.
Bilder drängten sich in Lennards Bewusstsein: eine Frau, die mit versteinertem Gesicht von seinem Verrat erfuhr, Kinder, die sich tränenüberströmt von ihrem Vater in Handschellen verabschiedeten. Er verdrängte die Gedanken. Es war nicht seine Aufgabe zu richten. Er musste nur Beweise sammeln.
Genau wie damals.
Klick, klick.
Was er an Material hatte, reichte bequem, um den Mann zu überführen. Unter Druck mit den Fotos konfrontiert, würde er einknicken und ein Geständnis ablegen. Schließlich war er nur Abteilungsleiter eines Softwareunternehmens, das sich mit automatischer Bildverarbeitung beschäftigte, und kein hartgesottener Industriespion.
Die beiden verließen das Restaurant wie alte Freunde. Klick, klick. Die Kontaktperson verabschiedete sich mit einem fröhlichen Gruß, während die Zielperson sich nervös umsah. Ihr Blick glitt über Lennards Wagen, ohne etwas zu bemerken.
Lennard ließ dem Mann Zeit, in seinen Wagen zu steigen und loszufahren. Er verfolgte ihn nicht – er hatte bereits alles, was er brauchte. Stattdessen fuhr er direkt ins Büro von Treidel Security in einem Barmbeker Hinterhof.
Roland Treidel wirkte eher wie ein Buchhalter, nicht wie der Gründer einer Firma, die sich auf die Abwehr von Industriespionage spezialisiert hatte. Sein etwas ungesunder |73| Gesamteindruck wurde durch den fahlen Teint, seinen altmodischen, aschfarbenen Anzug, die blaugrün gestreifte, schief sitzende Krawatte und das dünne, fettige Haar hervorgerufen. An seiner Unterlippe hatte er eine kleine Narbe, als sei sie ihm einmal bei einer Schlägerei aufgeschlagen worden. Dabei war ihm jede Form von Gewalt zuwider.
»Sehr gut, Pauly«, sagte er, als dieser ihm die Bilder auf seinem Laptop zeigte. Treidels Stimme war leise und bedächtig, als vertraue er Lennard ein Geheimnis an. »Ich denke, damit ist die Sache erledigt. Gute Arbeit!«
»Soll ich versuchen herauszufinden, wie viel die Chinesen für die Unterlagen gezahlt haben?«, fragte Lennard.
»Nein, ich denke, das ist nicht nötig. Wie viel auch immer es ist, es dürfte kaum reichen, um die Anwälte zu bezahlen, die der Mann brauchen wird.« Treidel erlaubte sich ein dünnes Lachen, das eher wie Röcheln klang.
»Gibt es schon einen neuen Auftrag für mich?«
»Ich habe nächste Woche ein Gespräch mit dem Vorstand eines Chemieunternehmens. Da geht es um eine Routineüberprüfung. Ich schlage vor, Sie machen erst mal ein paar Tage frei
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