Schwarzer Regen
mit Comicheften, die Kommode mit dutzenden Bilderrahmen, die alle dasselbe kleine Mädchen zeigten.
Yvonne riss erschrocken die Augen auf. Hintermann wandte sich ebenfalls zu ihm um. »Was …«
Lennard warf ihn mitsamt dem Stuhl zu Boden. Würfel und Spielfiguren flogen durch die Luft, als Hintermann mit dem Fuß gegen die Tischkante stieß. Er wehrte sich verzweifelt, doch er hatte keine Chance. Nach kurzer Zeit lag er auf dem Bauch, einen Arm auf den Rücken gedreht, Lennards Knie in der Wirbelsäule. »Aua, Sie tun mir weh!«, rief er. »Was soll das? Lassen Sie mich gefälligst los! Sie haben kein Recht …«
»Halt die Schnauze«, zischte Lennard und drückte ihm das Knie stärker in den Rücken, so dass Hintermann vor Schmerz aufschrie. Er dachte an die Verzweiflung in Nora Lindens Augen. Dieser Mistkerl hatte eine ordentliche Abreibung mehr als verdient!
Yvonne war von ihrem Stuhl aufgesprungen und stürzte sich nun in einem heroischen Akt der Verzweiflung auf Lennard. »Lassen Sie Onkel Stefan los!«, brüllte sie. »Sie tun ihm ja weh!«
Er ignorierte das Mädchen und sicherte Hände und Füße des Entführers mit einem unzerreißbaren Plastikband. Hintermann, der sich kaum noch rühren konnte, krümmte sich zusammen und fing an zu heulen wie ein kleines Kind. »Ich hab … doch nichts Böses gemacht!«, schluchzte er immer wieder.
»Nichts Böses?«, schrie Lennard. »Du … du Arschloch vergehst dich an einem Kind und findest nicht mal was dabei!« Er verpasste ihm einen heftigen Tritt in den Magen.
|61| Hintermann stöhnte auf. Es dauerte eine Weile, bis er wieder sprechen konnte. »Es … es ist nicht so … wie Sie denken …«, wimmerte er.
Lennard holte zu einem erneuten Tritt aus, diesmal in das feiste Kinderschändergesicht. Dann hielt er inne. Plötzlich wurde ihm klar, dass er vor kaum zehn Minuten exakt dieselben Worte benutzt hatte.
Nun begann auch Yvonne zu weinen. Lennard beugte sich zu ihr hinab und streckte seine Hand nach ihr aus, aber sie wich zurück.
»Hab keine Angst«, sagte er. »Ich tue dir nichts. Ich bringe dich jetzt zu deiner Mutter zurück.«
»Ich will aber bei Onkel Stefan bleiben«, rief sie und kniete sich neben den immer noch verkrümmt daliegenden Hintermann. Sie umklammerte seinen Hals.
»Das geht leider nicht«, sagte Lennard. Er zog sie so sanft wie möglich von dem Gefesselten weg.
»Nein, nein, lassen Sie mich los«, rief Yvonne. Mit ihren kleinen Fäusten schlug sie gegen Lennards Hand. »Ich will nicht! Ich will nicht!«
Ihm blieb nichts anderes übrig, als das schreiende Kind hochzuheben und aus der Wohnung zu tragen.
Im Korridor begegnete er einem Ehepaar mittleren Alters, das gerade aus dem Fahrstuhl trat.
»Lassen Sie mich los, lassen Sie mich los!«, schrie Yvonne.
Die beiden gingen mit einem Schulterzucken weiter. Wahrscheinlich hätten sie auch nichts gesagt, wenn das Kind gefesselt und geknebelt gewesen wäre.
Endlich erreichte er Nora Lindens Wohnung. Sie riss die Tür auf, bevor er klingeln konnte. »Yvi«, rief sie.
Lennard setzte das Mädchen ab, das sich in die Arme seiner Mutter flüchtete. Einen Moment lang umarmten sie sich weinend. Hinter ihnen stand Fabienne Berger. »Wie … wie haben Sie das so schnell geschafft?«, fragte sie.
|62| »Der da«, sagte Yvi schluchzend und zeigte mit einem anklagenden Finger auf Lennard, »war so gemein!«
Lindens Augen verengten sich. »Sie waren es also doch!«, zischte sie. »Sie … Sie Mistkerl!«
Er hob abwehrend die Hand. »Nein! Sie verstehen das falsch! Ich habe …«
»Was hat er gemacht?«, fragte Fabienne Berger Yvonne.
»Er war ganz fies. Er ist einfach reingekommen und hat Onkel Stefan verhauen. Und dann hat er ihn gefesselt.«
»Onkel Stefan? Wer ist Onkel Stefan?«
»Er ist sehr lieb!«, erzählte Yvonne. »Er hat mir Süßigkeiten geschenkt und ein Micky-Maus-Heft, und dann haben wir Mensch-ärgere-Dich-nicht gespielt, und …«
Nora Linden sah mit Tränen in den Augen auf. Es dauerte einen Moment, bis sie sprechen konnte. »Ent … entschuldigen Sie … ich dachte … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll …«
»Danke«, sagte Fabienne Berger an ihrer Stelle. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, Herr Pauly!« Sie lächelte.
»Wenn es … irgendetwas gibt, das ich tun kann …«, sagte Nora Linden.
»Nicht nötig. Ich … helfe, wo ich kann.« Lennard wandte sich um, ehe die beiden ihn fragen konnten, wie der Name des Entführers lautete. Mit dem Dreckskerl würde er
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