Schwarzer Regen
anzusehen.
Gegen neun hielt Lennard es nicht mehr aus. Er musste |258| sie sehen. Er musste sich vergewissern, dass es wirklich passiert war, dass er sich immer noch in dieser neuen, aufregenden Welt befand, dass das Dimensionstor nicht unbemerkt in sich zusammengefallen war und ihn in die trockene, trostlose Wüste seines bisherigen Lebens zurückgeworfen hatte. Anrufen war keine Lösung – Stimmen am Telefon konnten lügen. Augen nicht.
Er warf einen letzten Blick auf Pawlow, der es sich in seinem Sessel bequem gemacht hatte. Er sah nicht so aus wie jemand, der an diesem Abend noch irgendetwas vorhatte – von geheimen Machenschaften hinter dem Rücken seines Chefs ganz zu schweigen. Die Maschine würde schon allein mit der Überwachung klarkommen.
Er war ein wenig außer Atem, und seine Knie waren weich, als er vor ihrer Tür stand. Er zögerte. War er nicht gerade dabei, sich absolut lächerlich zu machen? Was würde er sagen, wenn sie ihn mit gerunzelter Stirn ansah und ihn fragte, was er um diese Zeit hier wolle?
Er holte Luft und klingelte.
Sie öffnete fast augenblicklich. Ihre Augen leuchteten. »Du bist spät«, sagte sie. »Die Lasagne ist schon fast kalt.«
»Entschuldigung«, sagte er verwirrt. »Ich musste noch arbeiten.«
Sie lachte und gab ihm einen kurzen Kuss.
Der Küchentisch war von Kerzen erleuchtet. Sein Blumenstrauß stand in der Mitte. »Max schläft nebenan bei Yvonne«, sagte sie.
Lennard hörte auf, sich zu wundern. Er ließ sich einfach treiben. Sie aßen, tranken Rotwein, lachten, als sei das ganz normal.
»Woher wusstest du eigentlich, dass ich kommen würde?«, fragte er, während er ihr half, das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen.
»Du hast es doch gesagt, oder?«
|259| Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Es kam nicht oft vor, dass man ihn so beim Wort nahm. Aber es war auch noch nicht oft vorgekommen, dass er seine Worte so ernst gemeint hatte.
Sie sah ihn an. Ihre dunklen Augen waren ernst. »Lennard? Versprichst du mir etwas?«
»Was denn?«
»Sag mir bitte nie etwas, das du nicht wirklich meinst! Versprich mir, immer offen, ehrlich und direkt zu mir zu sein!«
Er lächelte. »Ich verspreche es!«
Sie küsste ihn lange. Drängendes Verlangen regte sich in ihm, doch er unterdrückte es. Nichts überhasten. »Ich muss los.«
Sie nickte. »Kommst du morgen wieder?«
Er küsste sie noch einmal kurz zum Abschied. »Weiß noch nicht. Ich muss einen Typen beschatten, nach Feierabend. Vielleicht muss ich ihm auf den Fersen bleiben. Ich melde mich.«
|260| 52.
Ludger Freimann betrat den Raum. »Na, aufgeregt, Gerd?«
Gerd wandte seinen Blick vom Garten der Villa ab, der im Licht der untergehenden Sonne glühte. Der See dahinter sah aus, als bestünde er aus Lava. Er drehte sich um und lächelte tapfer. Auf zwei Krücken gestützt, humpelte er auf seinen neuen Freund zu. Er empfand es immer noch als Ehre, dass der Vorsitzende der PDV ihn duzte.
Er konnte die Wendung seines Schicksals kaum fassen. Er war sicher gewesen, dem Tod geweiht zu sein, doch seit er hier in der Villa von Dr. Adam behandelt wurde, ging es ihm deutlich besser. Zwar war er immer noch sehr wackelig auf den Beinen, doch die Schmerzen und Atembeschwerden waren fast völlig verschwunden. Die Spritzen, die Dr. Adam ihm gab, erfüllten ihn mit einem Lebensmut, wie er ihn seit der Katastrophe nicht mehr erlebt hatte. »Es geht«, beantwortete er die Frage. »Ich habe gerade noch mal an meinem Manuskript gearbeitet.«
»Darf ich mal hören?«
»Natürlich!« Gerd holte die beiden Zettel hervor und begann, sie vorzulesen. Seine Stimme zitterte leicht. »Meine Damen und Herren, es ist mir eine Ehre, hier heute vor Ihnen zu sprechen …«
Ludger hörte sich den Text schweigend an. Nach etwa zehn Sätzen unterbrach er Gerd. »Sei mir nicht böse, aber so wird das nichts. Die Leute wollen keinen Vortrag von dir. Die wollen mitgerissen werden!«
Gerd war irritiert. »Aber du hast doch gesagt, ich soll erzählen, wie es gewesen ist!«
»Ja, aber doch nicht so! ›Dann sind wir hierhin gegangen, |261| dann haben wir das gemacht. Dann lag ich da und habe gewartet und gewartet.‹ So klingt doch kein Held! Die Menschen sollen spüren, was du und deine Kameraden durchgemacht haben! Sie müssen denselben Zorn fühlen, den du empfindest!«
»Aber ich hab doch bloß …«
»Pass auf, wir setzen uns jetzt hin und schreiben die Rede noch mal neu.«
»Aber …«
»Kein aber! Begreifst du nicht,
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