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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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endlos langer Weg. Und tatsächlich
waren es fast zehn Kilometer. Der Weg dorthin mit einer Prozession von
Verwundeten, die, von Angst getrieben, flüchteten, bot einen schrecklichen
Anblick.
    In Hesaka hatte man die Volksschule in einen
Verbandplatz umgewandelt, um die Verwundeten unterzubringen; an ein
eigentliches Lazarett war nicht zu denken. Es handelte sich um zwei einstöckige
Schulgebäude mit zwei auf dem winzigen Schulhof aufgeschlagenen Zelten als
Notunterkunft. Sowohl die Gebäude als auch die Zelte wurden von Verwundeten umlagert,
die in langen Schlangen darauf warteten, daß sie drankamen, obwohl die Sonne
bereits unterging. In den Fluren lagen Menschen stöhnend auf dem Boden, wo sie
zusammengebrochen waren, und andere mit einem Tuch überm Gesicht; sie hatten
sich den ganzen Weg hierher durchgekämpft, um hier den letzten Atemzug zu tun.
Eltern riefen die Namen ihrer Kinder, und Kinder riefen nach ihren Müttern. Die
Helfer trugen als einzige Behandlung Jodtinktur auf die Wunden auf oder eine
Mixtur aus Mehl und Öl als Ersatzverband für Verbrennungen. Man schien keine
Binden zu haben und auch keine Medikamente für Injektionen.
    Iwatakes Gesicht schwoll immer mehr, bis es rund
war wie eine Wassermelone und seine Augen fast völlig verschwanden. Miyoshi
hatte eine große Blase auf der Wange und an den Händen keine Haut mehr. Itos
Wange war verbrannt, und auf der Stirn hatte er eine Beule von einem Schlag.
Miyoshi war Doktor der Medizin, Facharzt für Geburtshilfe. Er trug ständig ein
Foto seiner kleinen Tochter in einer Innentasche bei sich. Ito war praktischer
Arzt und Pharmakologe.
    Iwatake und seine beiden Kameraden wurden mit
Jodtinktur eingepinselt; als sie dann einen freien Platz im Flur neben dem
Eingang fanden, wickelten sie sich in ihre Decken und verbrachten dort die
Nacht. Vielleicht waren sie zu erregt, daß sie keinen Hunger verspürten; dabei
hatten sie seit dem Frühstück nichts zu essen oder zu trinken bekommen. Der
Durst quälte sie, aber sie wagten nicht, Wasser zu trinken, aus Angst vor
ansteckenden Krankheiten. Keiner von ihnen sprach viel, es fehlte ihnen die
Energie dazu.
    Am nächsten Tag wurden Soldaten und Zivilisten
getrennt; die Soldaten kamen in die Klassenräume der Schulgebäude. Iwatakes
Gesicht war so angeschwollen, daß es doppelt so groß wie vorher schien, und er
konnte nur sehen, wenn er die Augenlider mit den Fingern auseinanderdrückte;
man legte ihn auf eine Trage und brachte ihn in einen Klassenraum am östlichen
Ende des Gebäudes, wo die Schwerverwundeten lagen. Er sah Miyoshi niemals
wieder. Auch von Ito wurde er getrennt, erfuhr aber später, daß dieser kurz
danach seine Frau wiederfand, deren liebevolle Fürsorge ihm das Leben rettete.
Er lebt, ist heute gesund und praktiziert wieder in Miyoshi.
    Das Folgende ist Iwatakes eigener Bericht über
die Zustände an dem Tag:
     
    Von den Sanitätsreservisten befand sich niemand
weiter in dem Klassenraum, in den man mich gebracht hatte; die anderen
Patienten waren einfache Soldaten, alles junge Leute, schwer verwundet. Ich
hatte unerträglichen Durst. Ich spürte alle meine Knochen. Mir war furchtbar
kalt, und ich begann zu fiebern. Ich muß über 40 Grad Fieber gehabt haben.
Meine Augenlider waren so geschwollen, daß ich nichts sehen konnte; ich konnte
nur stilliegen. Am 7. August bekam ich eine Schale Haferschleim. Wasser ließ
ich nur einmal in zwei Tagen.
    Ich sollte kein Wasser trinken, aber schließlich
konnte ich es nicht länger aushalten; ich hielt mir ein Auge mit den Fingern
auf und stahl mich hinaus zum Brunnen und trank. Das Wasser schmeckte nach
Metall, aber es gab mir ein neues Lebensgefühl. Die Zahl der Zelte auf dem
Schulhof hatte sich auf sechs erhöht, und trotzdem waren sie noch überfüllt.
Die Leichen wurden hinausgeschafft und an einem Ende des Sportplatzes
gestapelt. Bei Einbruch der Nacht wurde das Stöhnen noch qualvoller. Ein
Patient mit Gehirnentzündung sprang plötzlich aus dem Fenster und fing an,
draußen durch die Reisfelder zu spazieren. Im Laufe der Nacht fanden etwa ein
Drittel der Kranken in unserem Zimmer ihre Ruhe. Sowie eine Leiche kalt wurde,
schaffte man sie unauffällig auf einer Trage fort.
    Ich machte mir Mut, indem ich mir einredete, daß
ich an dem Verbrennungsgrad niemals sterben würde. Aber es war mir immer noch
unverständlich, wie es so viele Verwundete auf einmal hatte geben können. Eine
Schwester kam herein und schrieb Namen, Rang, Einheit und

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