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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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Heimatadresse jedes
Patienten in ein Buch. Ich bat sie, meine Familie zu benachrichtigen, daß ich
im Lazarett in Hesaka sei, aber sie lehnte es ab. Keine Spur von einem
Militärarzt, der uns untersucht hätte...

Achtzehntes Kapitel
     
     
    Am Morgen des 8. August wurde plötzlich eine
Bekanntmachung verlesen. Die Zahl der Patienten war so gestiegen, daß das
Behelfslazarett nicht mehr ausreichte und einige in das Militärlazarett in
Shobara, im Norden des gleichen Bezirks, überwiesen werden sollten. Jeder, der
glaubte, ohne Hilfe mit dem Zug fahren zu können, sollte sich melden.
    Die Zahl der Bombengeschädigten, die man ständig
einlieferte, war in der Tat weitaus größer als die Zahl der Todesfälle. Kaum
hatte man eine Leiche hinausgeschafft, kamen schon neue Verwundete, um den
Platz einzunehmen. Die Klassenräume und die Zelte auf dem Schulhof waren
vollgepfropft. Sogar die Vorratsräume und Holzschuppen der anliegenden
Bauernhöfe hatte man belegt, und die Opfer lagen draußen in den Gärten. Alle
Volksschulen in den Städten und Dörfern der Umgebung von Hiroshima dienten
jetzt, wie die Schule in Hesaka, als Notquartiere und waren offensichtlich
überfüllt. Man mußte deshalb die Opfer weiter und auf entferntere Gebiete
verteilen. Es gab auch nicht genügend Ärzte für die Versorgung der Kranken.
    „Achtung! Wichtige Mitteilung!“ wiederholte ein
Sanitätshelfer. „Haben Sie alle verstanden? Diejenigen, die ins Lazarett nach
Shobara wollen, sollen sich melden. Wer es schafft, ohne Hilfe mit dem Zug nach
Shobara zu fahren, hebt die Hand.“
    „Ist jemand hier, der nach Shobara will?“ hörte
man eine weichere, weibliche Stimme. „Wer sich in der Lage fühlt, mit dem Zug
zu fahren, meldet sich bitte. Es dauert drei Stunden mit dem Zug von Hesaka
nach Shobara.“
    Als der Name Shobara fiel, öffnete Iwatake, der
auf dem Rücken lag, mit den Fingern die Augenlider und blickte zur Decke. Er
konnte die Maserung der Holzbretter ganz deutlich erkennen. Er war überzeugt,
daß er so den Weg bis zum Bahnhof schaffen würde. Er schloß die Augen wieder
und hob mit großer Anstrengung eine Hand hoch. Er hatte nicht viel Kraft im
Arm, und die Hand baumelte schlaff am Handgelenk.
    Die anderen Patienten schienen unschlüssig zu
sein. „Ich möchte ja gern, aber ich kann nicht“, hörte Iwatake einen Soldaten
sagen, konnte jedoch nicht sehen, wer es war und was für Verletzungen er hatte.
„Hört auf mit dem Zureden!“ — „Laßt doch die gehen, die wollen“, murmelte ein
anderer Soldat, den er gleichfalls nicht sehen konnte, fast trotzig. „Ich gehe!“
brüllte ein dritter.
    Iwatake war entschlossen, wenigstens so lange am
Leben zu bleiben, bis er Shobara erreicht hatte. Selbst wenn es am Ende zum
Schlimmsten kam, hatte er durchaus keine Lust, im Zug zu sterben. Zum einen war
Shobara sein Zuhause, sein Geburtsort, zum anderen stammte der Chef des
dortigen Lazaretts, Dr. Fujitaka Shigeaki, aus dem gleichen Dorfe wie er, hatte
vor ihm die gleiche Universität absolviert und als Stabsarzt gedient. Er
behandelte seine Patienten streng, aber freundlich. Dr. Fujitaka, so sagte sich
Iwatake, würde ihm wenigstens Öl auf die Brandwunden auftragen. Diese
Gelegenheit schien ihm vom Himmel gesandt. Es war tatsächlich ein so
unbeschreibliches Glück, daß er sich am liebsten mit beiden Händen gemeldet
hätte. Dabei ermüdete die rechte erhobene Hand so schnell, daß er zur linken
überwechseln mußte.
    „In Ordnung! Sie können die Hand runternehmen!“
hörte er eine Stimme dicht neben sich. „Ich schreibe Ihnen einen
Überweisungszettel aus.“ Iwatake nahm den Arm herunter, preßte ein Auge auf und
erkannte einen Sanitätsfeldwebel, der einen Gepäckanhänger am Gürtel seiner
Uniform befestigte. Iwatake richtete sich halb auf und stellte fest, daß er mit
einem Schild „Nach Shobara“, in schwarzer Tusche geschrieben, versehen war.
    „Wann geht es los?“ fragte er den Sanitäter.
    „Sobald wir alle abgefertigt haben. Wir treffen
uns in Kürze auf dem Schulhof.“
    Die Mittagszeit kam heran, und es gab eine Art
Haferschleim und Klößchensuppe, aber Iwatake hatte keinen Appetit. Eine Tasse
Tee war alles, was er hinunterbekam. Es muß am Fieber liegen, sagte er sich.
    Der Befehl, sich zu sammeln, kam um drei Uhr
nachmittags. Sie versammelten sich auf dem Schulhof; der Geruch von den
Leichenstapeln stieg ihnen in die Nase. Dann machten sie sich auf den Weg, im
Gänsemarsch, etwa sechshundert Mann, die

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