Schwarzer Regen
sie von der Infanterieeinheit
zum Ausbildungszentrum des Zweiten Armeelazaretts kommandiert und zogen in die
zweistöckige Kaserne am Ota-Fluß in Hiroshima ein. Sie fanden dort bereits
ungefähr achtzig Rekruten aus den Bezirken Yamaguchi und Hamada vor, so daß
insgesamt über hundertdreißig Mann zusammenkamen.
Leutnant Yoshikawa, der Ausbilder, erst
dreiundzwanzig Jahre alt, war ein Sanitätsoffizier, der einen Kurzlehrgang an
der Medizinischen Fachschule in Pjöngjang absolviert hatte. Im Inhalt, wenn
schon nicht im Ausdruck, war seine Ansprache noch schärfer als die von
Oberstleutnant Washio.
„Diese Kaserne hier ist berüchtigt“, sagte er.
„Man nennt sie die ,Teufelskaserne’ . Da Sie nun hier
sind, müssen Sie umdenken. Geht man sanft um mit solchen wie Ihnen, da schlagen
Sie über die Stränge. Wir haben Befehl von oben, Sie richtig ranzunehmen,
stellen Sie sich drauf ein. Erst mal werden Sie...“ (die nächsten fünfzig
Wörter waren ausgelassen). Die Leute, die solche Reden hielten, nannten das
„eine zünftige Ansprache“, aber sie dienten nur dazu, die Zuhörer in die
düsterste Stimmung zu versetzen.
Als die Ansprache vorbei war, wurden sie auf die
Schreibstube gerufen, immer zu dreien, und über ihre Familien und die
Familieneinkünfte befragt, offensichtlich um später zu entscheiden, welche
Leute an Gefahrenstellen eingesetzt wurden.
Am nächsten Tag begann die eigentliche intensive
Ausbildung. „Es war mehr ein Zwangsarbeitslager als eine Ausbildungseinheit“,
schrieb Iwatake. „Oft hatten wir frühmorgens, gewissermaßen zum Spaß, eine
sogenannte Alarmübung, was bedeutete, daß wir drei, vier Kilometer bei Anbruch
der Dämmerung durch den Morgennebel laufen mußten. Wir liefen durch die Anlagen
am Gokoku-Schrein, über die Aioi-Brücke, dann hinter dem Honganji-Tempel vorbei
nach Norden, wieder zur Aioi-Brücke, dann zum Nigitsu-Schrein und zurück zur
Kaserne. Natürlich blieben viele unterwegs liegen. Die Zahl der Männer, die
unter ständigem leichtem Fieber oder Durchfall litten, nahm zu, und manche
mußten sich krank melden. Bei den Kriechübungen gerieten wir so in Schweiß, daß
man die Uniform nachher praktisch auswringen konnte. War man hinten zu hoch,
bekam man einen schweren Stiefel in den Hintern; hielt man den Gewehrlauf zu
tief, sauste einem der Paradesäbel zwischen die Schultern. Die Ellenbogen waren
bis aufs Blut aufgeschürft. Wir hatten einen Reservisten namens Nakamura, der
in Tokuyama eine Entbindungsklinik leitete. Ein Mann mittleren Alters,
hundertneunzig Pfund schwer, der unter Herzerweiterung litt; im Jahr vorher
hatte man ihn sofort wieder nach Hause geschickt, in diesem Jahr aber
eingezogen. Sich auf dem Bauch vorwärts zu bewegen, mit dem Gewehr in der Hand,
ging über seine Kräfte. Leutnant Yoshikawa trat ihn mehrfach ins Gesäß, als er
weit hinter den anderen am Boden lag. Nakamura war so gekränkt und gedemütigt,
daß ihm die Tränen kamen, er dachte sogar an Selbstmord, wie er später
gestand.“ Es war, als würde ein Mann von seinem eigenen Sohn geschlagen, der
ein brutaler Strolch geworden ist. Oder, wie es Iwatake ausdrückte: „Auf seinem
Gesicht malte sich unverhohlene Fassungslosigkeit und Enttäuschung, wie bei
einem Vater, der von seinem Sohn mißhandelt wird.“
Am Morgen des 6. August, ungefähr um halb
sieben, gab es Fliegeralarm; zwei oder drei B-29 tauchten auf und flogen wieder
nach Süden, ohne eine einzige Bombe abgeworfen zu haben. Man fand nichts
Besonderes daran; es war schon oft vorgekommen. Der Alarm wurde kurz nach
sieben aufgehoben. Um 7.50 Uhr, es bestand noch Vorwarnung, trat die ganze
Einheit — Chef, Ärzte, Sanitätshelfer und Reservisten — auf dem Hof an,
verneigte sich nach Osten, vor dem Kaiserpalast gewissermaßen, und lauschte
einer feierlichen Verlesung des Kaiserlichen Erlasses an die Armee zum
Jahrestag ihrer Gründung.
Die Sanitätsoffiziere und Unteroffiziere standen
im ersten Glied, dahinter die Reservisten, die man aus den Präfekturen
Yamaguchi und Shimane eingezogen hatte, in ihren besten Uniformen, und ganz
hinten die Reservisten aus Hiroshima, deren Uniformen die schäbigsten waren.
Die Armee hatte die dafür Verantwortlichen nicht zeitig genug von der Ankunft
der Leute aus Hiroshima in Kenntnis gesetzt, und so trugen sie immer noch kaum
mehr als das Drillichzeug, ohne jeden Stern am Kragen oder sonstige
Rangabzeichen.
Die Zeremonie war zu Ende, der Oberarzt begann
mit einer Ansprache, als
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