Schwarzer Regen
Pfade zwischen den Reisfeldern entlang
zum Bahnhof. Iwatake hielt sich die Augenlider beim Gehen auseinander, erst das
rechte, dann das linke. Sie sahen alle ziemlich mitgenommen aus. Es war eine
trostlose, dahinstolpernde Prozession von Gespenstern.
Als sie die Anhöhe hochgingen, die zum Bahnhof
führte, schnürte es ihm vor Durst fast die Kehle zu, und er rief eine alte Frau
an, die im. Eingang eines Bauernhauses stand: „Entschuldigen Sie bitte, könnte
ich etwas Wasser haben?“ Sie ging ohne ein Zeichen von Ekel angesichts seines
geschwollenen Gesichts und der verbrannten Lippen hinein und murmelte und
nickte im Gehen vor sich hin. „Armer Mann!“ hörte er sie sagen. „Wie durstig er
sein muß! Ja, natürlich...“ Sie brachte aus dem ungedielten Innenraum ein
Tablett mit einer großen Tasse. Es war nicht Wasser, sondern kalter, starker
Tee.
Was sich ereignete, nachdem er in den Zug
gestiegen war, beschreibt er in seinem Bericht wie folgt:
Mit großer Mühe bekam ich im letzten Abteil des
Sonderzuges einen Platz. Wir fuhren auf der Strecke nach Geibi, die durch
meinen Heimatort führte und auf der ich während meiner Mittelschulzeit viele
Male hin- und hergefahren war. Das Pfeifen der Lokomotive munterte mich
ungemein auf. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß ich jetzt, da ich den
wohlvertrauten Ton aus der Vergangenheit gehört hatte, nicht einfach sterben
konnte. Die Stimmung, die mich bei der Aussicht auf eine Zeit ohne die
Schlaflosigkeit, Überanstrengung und Furcht der letzten drei Tage überflutete,
ließ die dreistündige Fahrt außerordentlich lang erscheinen. Mein Körper war
heiß wie Feuer vor Fieber. Große Anspannung läßt plötzlich nach, und man hat
die Empfindung, unaufhaltsam abwärts zu gleiten, hinab in die Tiefe. Mein Bewußtsein
verschwamm. Auf jedem Bahnhof bremste der Zug heftig, als wollte er mich
ermutigen, mich zusammenzureißen. Jedesmal gaben jüngere und ältere Frauen, die
die Schärpe der Frauenvereinigung für Nationale Verteidigung trugen, Tee und
eingelegte saure Pflaumen aus. Obwohl meine Lippen und die Mundhöhle so
geschwollen waren, schmeckten mir die Pflaumen gut. Die Frauen hielten mit
ihren Mitleidsbezeigungen nicht zurück. „Wie gräßlich!“ sagte eine. „Wie
schrecklich für Sie“, rief eine andere aus. Einige von den Jüngeren weinten.
Sie hatten sicher alle Söhne oder Ehemänner in der Armee. Sogar eine alte Frau
brach in hilfloses Schluchzen aus. Es war meine erste Begegnung mit einem
weiblichen Gefühlsausbruch, seit ich mich bei der Armee aufhielt, und es
erinnerte mich an ein Gedicht des chinesischen Dichters Li Tai-bo, das ich vor dreißig Jahren auf der Mittelschule gelernt
hatte. Zum erstenmal begriff ich, daß es nicht nur ein Stück kunstvoller Poesie
war, sondern ein Werk tiefer Empfindung. Allein in unserem Waggon waren zwei
Soldaten bereits steif und kalt. Ich machte mir Sorgen um Frau und Kinder. Was
meinen Neffen betraf, so mußte ich mich wohl mit dem Schlimmsten abfinden.
Wir hielten auf dem Bahnhof Miyoshi, wo ich zur
Mittelschule gegangen war. Ich übte gerade, mein linkes Auge ohne Hilfe der
Finger zu öffnen, als der Anblick eines Mädchens auf dem Bahnsteig, das ich
kannte, mir fast den Atem verschlug. Sie war seit ihrer Kindheit ein Mündel
meiner Tante gewesen. Da man nicht von ihr erwarten konnte, daß sie mich in
meinem gegenwärtigen, so traurig veränderten Zustand erkennen würde, versuchte
ich durch Rufen die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Sie hatte inzwischen die
Schule verlassen, wie ich erfuhr, und leistete Kriegshilfe auf dem Bahnhof. Ich
erzählte ihr in aller Kürze, wie ich als Soldat in diesen beklagenswerten
Zustand gekommen war. Sie rief sofort über das Bahntelefon die Station Shobara
an und erhielt von den Stationsvorstehern in Shobara und Miyoshi die Erlaubnis,
mich im Zug zu begleiten.
All das hatte nur geschehen können, weil der Zug
auf dem Bahnhof so lange hielt. Trotzdem war es ein außergewöhnlicher Zufall.
Dank dieser Begegnung würde ich bald Kontakt zu meinen Angehörigen und Freunden
bekommen. Der Gedanke flößte mir neuen Mut ein. Die Spannung, die mich gepackt
hatte, mußte unmerklich nachgelassen haben, denn seltsamerweise verschlechterte
sich mein Zustand plötzlich, und ich bekam starken Schüttelfrost.
In Shobara suchte das Mädchen meine Tante auf.
Von dort würde man sicher meine eigene Familie benachrichtigen, die ein Stück
außerhalb wohnte. Der Ort, zu dem man uns hinfällige
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