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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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stehenbleiben. Nach Kohlberg gibt es nun auch noch eine Stufe 7 . Nur sehr wenige Menschen schaffen es bis dorthin. Das Individuum der Stufe 7 ist erfüllt von universeller Liebe, Mitleid und Heiligkeit und steht darin weit über dem gewöhnlichen Sterblichen. Kohlberg zitiert nur einige Beispiele: Jesus, Buddha, Gandhi … In gewisser Weise könnte man sagen, dass Psychopathen nicht über die Stufe 0 hinausgelangen. Auch wenn das für einen Psychiater keine besonders wissenschaftliche Aussage ist.«
    »Glauben Sie, dass man in gleicher Weise
ein Stufenmodell des Bösen
entwickeln könnte?«
    Die Augen des Psychiaters blitzten hinter seiner roten Brille. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, wie ein Feinschmecker.
    »Das ist eine sehr interessante Frage«, sagte er. »Ich gestehe, dass ich sie mir auch schon gestellt habe. In einer solchen Stufenfolge stände Hirtmann am anderen Ende des Spektrums, er wäre eine Art spiegelverkehrtes Pendant des Menschen auf der höchsten moralischen Entwicklungsstufe, kurz gesagt …«
    Der Psychiater starrte ihn durch seine Brillengläser unverwandt an. Er schien sich zu fragen, auf welcher Stufe Servaz stehengeblieben war. Dieser spürte, dass ihm der Schweiß ausbrach und sich sein Puls wieder beschleunigte. In seiner Brust regte sich etwas. Eine panische Angst … Er sah noch einmal die Scheinwerfer in seinem Rückspiegel, den schreienden Perrault in der Kabine, Grimms nackte Leiche, die unter der Brücke hing, das enthauptete Pferd, den auf ihn gerichteten Blick des Schweizer Hünen, den von Lisa Ferney in den Gängen des Instituts … Die Angst war von Anfang an da, tief in ihm … Wie ein Samenkorn … das nur darauf wartete, zu keimen und aufzublühen. Am liebsten wäre er Hals über Kopf davongerannt, wäre er aus diesem Institut, diesem Tal, diesen Bergen geflohen …
    »Danke, Doktor«, sagte er und stand unvermittelt auf.
    Xavier erhob sich lächelnd und reichte ihm die Hand über den Schreibtisch.
    »Nichts zu danken.« Er hielt Servaz’ Hand einen Moment in der seinen. »Sie wirken erschöpft und sehr mitgenommen, Commandant. Sie sollten sich ausruhen.«
    »Das höre ich heute schon zum zweiten Mal«, antwortete Servaz lächelnd.
    Aber seine Beine zitterten, als er zur Tür ging.
     
    15 : 30  Uhr. Der Winternachmittag verdüsterte sich bereits. Die schwarzen Tannen hoben sich scharf vom schneebedeckten Boden ab, die dunklen Schatten unter den Bäumen wurden immer undurchdringlicher, und die Silhouette des Berges durchschnitt den bedrohlichen grauen Himmel, der sich wie ein Sargdeckel auf das Tal herabzusenken schien. Er setzte sich in seinen Jeep und betrachtete die Liste.
Elf Namen …
Er kannte wenigstens zwei davon. Lisa Ferney und Dr. Xavier selbst … Dann ließ er den Motor an und manövrierte, um wieder loszufahren. Der Schnee auf der Straße war fast völlig weggeschmolzen und hatte einem glitschigen und glänzenden schwarzen Film Platz gemacht. Auf der düsteren schmalen Straße begegnete er niemandem, aber als er einige Kilometer weiter auf Höhe der Ferienkolonie herauskam, entdeckte er ein Auto, das am Anfang des Weges zur Kolonie abgestellt war. Ein alter roter Volvo 940 . Servaz bremste ab und versuchte, im Licht seiner Scheinwerfer das Kennzeichen zu entziffern. Aber der Wagen war so schmutzig, dass die Hälfte der Zeichen unter dem Schlamm und den am Nummernschild klebenden Blättern unsichtbar war. Zufall oder gezielt kaschiert? Er spürte, wie ihn eine leichte Nervosität überkam.
    Im Vorbeifahren warf er einen Blick ins Innere. Niemand. Servaz stellte seinen Wagen fünf Meter weiter ab und stieg aus. Niemand in der Nähe. Der Wind, der durch die Zweige fuhr, erzeugte ein unheimliches Geräusch wie von herumliegendem Papier, das am Ende einer Sackgasse raschelte. Hinzu kam das monotone Rauschen des Wildbachs. Das Tageslicht schwand mehr und mehr. Er nahm eine Taschenlampe aus dem Handschuhfach und stapfte durch den Schneematsch am Straßenrand bis zu dem Volvo. Das Innere verriet ihm nichts Besonderes, einmal abgesehen davon, dass es genauso schmutzig war wie die Karosserie. Er versuchte, die Tür zu öffnen, aber sie war verriegelt.
    Servaz erinnerte sich sehr genau an die Episode in der Seilbahn. Diesmal ging er zurück, um seine Waffe zu holen. Als er über die verrostete kleine Brücke stapfte, hüllte ihn die Kühle des Sturzbachs ein. Er bereute es, dass er keine Stiefel anhatte, als er begann, über den schlammigen Pfad zu

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