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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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nicht mehr allein war. Einen Sekundenbruchteil später wurde etwas Weiches, Kaltes über seinen Kopf gestreift. In plötzlicher Panik schlug er wie wild um sich, aber der Angreifer hielt stand. In seinem Gehirn schrie es:
Plastiktüte!
Jetzt versetzte ihm der Mann einen schrecklichen Schlag in die Kniekehlen, und Servaz sackte vor Schmerz unwillkürlich zusammen. Er fiel der Länge nach hin, das Gesicht im Schlamm, das ganze Gewicht des Fremden auf ihm. Unter der Tüte bekam er keine Luft mehr. Durch die Folie hindurch spürte er den weichen, klebrigen Morast an seinem Gesicht. Der Angreifer drückte seinen Kopf gegen den Boden, während er zugleich die Tüte um seinen Hals schnürte und mit den Knien seine Arme festhielt. Während Servaz nach Atem rang, erinnerte er sich an den Lehm in Grimms Haaren, und eine eiskalte, unkontrollierbare Angst überkam ihn. Er warf sich heftig hin und her, um den Mann auf seinem Rücken aus dem Gleichgewicht zu bringen. Vergeblich. Er ließ nicht los. Jedes Mal, wenn er ausatmete, löste sich die Plastiktüte von seinem Gesicht, nur um beim Einatmen wieder an seinen Nasenlöchern, seinem Mund und seinen Zähnen zu kleben – er bekam fast überhaupt keine Luft mehr. Panische Erstickungsangst überfiel ihn. Den Kopf eingesperrt in diesem Plastikgefängnis, fürchtete er, im nächsten Moment würde sein Herz aussetzen. Dann wurde er ruckartig nach hinten gezogen und ein Seil um seinen Hals gelegt, das zugleich die Plastiktüte zuschnürte. Ein fürchterlicher Schmerz schoss ihm durch den Hals, während er über den Boden geschleift wurde.
    Er strampelte mit den Füßen, seine Sohlen rutschten durch den Schlamm, irgendwie wollte er die schreckliche Würgschraube um seinen Hals lösen. Er hob den Hintern an, ließ ihn wieder fallen und glitt über den glitschigen Boden, während seine Hände vergeblich versuchten, das Seil zu packen und die tödliche Strangulierung zu lockern. Er wusste nicht, wohin seine Waffe gefallen war. So wurde er mehrere Meter über den Boden gezogen, verrenkt, keuchend, dem Erstickungstod nahe, wie ein Tier, das zur Schlachtbank gezerrt wird.
    In weniger als zwei Minuten wäre er tot.
    Schon ging ihm die Luft aus.
    Sein Mund öffnete sich krampfhaft, aber jedes Mal, wenn er einatmen wollte, blockierte die Plastikfolie den Luftstrom.
    Im Innern der Tüte wurde der Sauerstoff immer knapper, ersetzt durch das Kohlendioxid, das er ausstieß.
    Er würde das gleiche Schicksal erleiden wie Grimm!
    Das gleiche Schicksal wie Perrault!
    Das gleiche Schicksal wie Alice!
    Erhängt!
    Er war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren, als plötzlich wieder Luft in seine Lungen floss, als wäre ein Ventil geöffnet worden. Reine, unverbrauchte Luft. Er spürte Regentropfen über sein Gesicht rinnen. Er atmete Luft und Regen in tiefen, heiseren und heilsamen Zügen, die in seinen Lungen klangen wie ein Blasebalg.
    » ATMEN SIE ! ATMEN SIE !«
    Die Stimme von Dr. Xavier. Er drehte den Kopf, brauchte eine Sekunde, um wieder klar zu sehen: Der Psychiater beugte sich über ihn und stützte ihn. Er wirkte genauso entsetzt wie er.
    »Wo … wo ist er?«
    »Er hat sich verzogen. Ich habe ihn nicht einmal mehr zu Gesicht bekommen. Seien Sie still und atmen Sie!«
    Plötzlich war ein Motorengeräusch zu hören, und Servaz verstand.
    Der Volvo!
    »Scheiße!«, fand er die Kraft zu sagen.
     
    Servaz saß gegen einen Baum gelehnt. Er ließ den Regen sein Gesicht und seine Haare durchnässen. Dem Psychiater, der neben ihm kauerte, schienen der Regen, der seinen Anzug durchweichte, und der Schlamm auf seinen polierten Schuhen nichts auszumachen.
    »Ich war auf dem Weg nach Saint-Martin hinunter, als ich Ihr Auto sah. Ich wollte wissen, was Sie hier drin suchen. Also bin ich Ihnen nachgegangen.«
    Der Psychiater warf ihm einen durchdringenden Blick und ein mattes Lächeln zu.
    »Ich bin wie die anderen: diese Ermittlungen, diese Morde … Das ist alles furchtbar, aber auch faszinierend. Ich habe Sie also gesucht, und auf einmal sehe ich Sie da auf dem Boden liegen, mit der Tüte über dem Kopf und diesem … Seil! Der Typ muss meinen Wagen gehört haben und hat sich schnell aus dem Staub gemacht. Er hatte bestimmt nicht damit gerechnet, gestört zu werden.«
    »Eine Fa… Falle«, stammelte Servaz und rieb sich den Hals. »Er ha… hat mir eine Falle ge… gestellt.«
    Er zog an seiner feuchten Zigarette, sie knisterte. Er schlotterte am ganzen Körper. Der Psychiater schob vorsichtig den

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