Schwarzer Schmetterling
ein und strangulierte ihn. Es muss ein langer Todeskampf gewesen sein.«
»Ein schrecklicher Tod«, sagte jemand hinter ihnen.
Sie drehten sich um. Cathy d’Humières hatte den Blick auf den Toten geheftet. Mit einem Mal wirkte sie alt und verbraucht.
»Mein Mann will seine Anteile an seiner Werbeagentur verkaufen und einen Tauchsportklub auf Korsika aufmachen. Er will, dass ich meinen Job als Staatsanwältin an den Nagel hänge. An Tagen wie heute habe ich nicht übel Lust, auf ihn zu hören.«
Servaz wusste, dass sie es nicht tun würde. Es fiel ihm nicht schwer, sie sich als engagierte, aktive Ehefrau vorzustellen, als tapfere kleine Soldatin des gesellschaftlichen Lebens, die selbst nach einem aufreibenden Arbeitstag noch imstande war, Freunde zu empfangen, mit ihnen zu lachen, und die ohne zu murren die Wechselfälle des Lebens ertrug, als wären diese kaum mehr als ein Glas Wein, das jemand auf der Tischdecke umgestoßen hatte.
»Weiß man, wer das Opfer ist?«
Ziegler wiederholte ihr gegenüber das, was sie schon zu Servaz gesagt hat.
»Wie heißt der Rechtsmediziner?«, fragte Servaz.
Ziegler ging zu dem Beamten und kam dann zurück, um ihm die gewünschte Information zu geben. Er nickte zufrieden. Zu Beginn seiner Laufbahn war er mit einer Rechtsmedizinerin aneinandergeraten, die sich geweigert hatte, sich im Zuge der Ermittlungen in einem seiner Fälle an den Tatort zu begeben. Servaz war zur Uniklinik von Toulouse gefahren und, schäumend vor Wut, in die Rechtsmedizin hineingeplatzt. Aber die Ärztin hatte ihm dreist die Stirn geboten. Später hatte er erfahren, dass dieselbe Person im Zusammenhang mit dem Fall eines berühmten Serienmörders in der lokalen Presse Schlagzeilen gemacht hatte – die Morde an jungen Frauen aus der Gegend waren aufgrund unglaublicher Nachlässigkeiten zunächst für Selbstmorde gehalten worden.
»Gleich ziehen sie den Leichnam hoch«, verkündete Ziegler.
Es war hier viel kälter und feuchter als unten, und Servaz zog seinen Schal fester um den Hals – dann musste er an den Gurt denken, der sich in den Hals des Opfers eingeschnitten hatte, und schnell lockerte er ihn wieder.
Plötzlich fielen ihm zwei Details auf, denen er im Schreck des ersten Anblicks keine Beachtung geschenkt hatte.
Das Erste waren die Lederstiefel, abgesehen von dem Cape das einzige Kleidungsstück, das am Körper des Apothekers geblieben war: Für einen so dicken Mann sahen sie seltsam klein aus.
Das Zweite war die rechte Hand des Opfers.
Es fehlte ein Finger daran.
Der Ringfinger.
Und dieser Finger war abgeschnitten worden.
»Auf geht’s!«, sagte d’Humières, als die Kriminaltechniker den Körper hochgezogen und auf die Brückenplatte gelegt hatten.
Die Stahlbrücke vibrierte unter ihren Schritten, und Servaz spürte einen Moment lang die nackte Angst, als er unter sich sah, in welche Tiefe sich der Wildbach stürzte. Um die Leiche kauernd, streiften die Kriminaltechniker vorsichtig die Kapuze zurück.
Unwillkürlich wichen die Anwesenden ein Stück zurück.
Das Gesicht, das darunter zum Vorschein kam, war mit reißfestem silberfarbenem Klebeband geknebelt. Servaz konnte sich ohne weiteres vorstellen, wie es die panische Angst und die Schmerzensschreie des Opfers erstickte, denn der Apotheker hatte weit aufgerissene Augen. Beim zweiten Blick erkannte er, dass Grimms Augen nicht auf natürliche Weise weit aufgesperrt waren: Sein Mörder hatte ihm die Lider umgestülpt; er hatte wohl mit Hilfe einer Pinzette daran gezogen und sie unter den Brauen und auf den Wangen angetackert.
Er hatte ihn zum Sehen gezwungen …
Außerdem hatte der Mörder, vermutlich mit einem schweren Gegenstand wie einem Eisen- oder Holzhammer, so blindwütig auf das Gesicht eingeschlagen, dass die Nase fast abgerissen war – sie hing nur noch an einem dünnen Band aus Fleisch und Knorpel. Schließlich fielen Servaz Schmutzspuren in den Haaren des Apothekers auf.
Einen Moment lang sprach niemand. Dann wandte sich Ziegler zu dem Gebirgsbach um. Sie gab Maillard ein Zeichen, der daraufhin den Bürgermeister am Arm nahm. Servaz sah sie näher kommen. Chaperon schien von panischer Angst ergriffen zu sein.
»Das ist er«, stammelte er. »Das ist Grimm.
Oh, mein Gott, was hat man ihm nur angetan?
«
Behutsam schob Ziegler den Bürgermeister zu Maillard, der ihn mit sich von der Leiche wegzog.
»Gestern Abend hat er mit Grimm und einem gemeinsamen Freund noch Poker gespielt«, erklärte sie. »Sie waren
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