Schwarzer Schmetterling
Mann, der zu einer Tour um den See aufgebrochen war, die Eisenbrücke über den Wildbach, der darunterhängende Leichnam …
»Wenn er an einer Brücke hing, war es vielleicht ein Suizid«, spekulierte er ins Blaue hinein, aber wer würde schon in einer so lächerlichen Aufmachung abtreten wollen?
»Nach den ersten Untersuchungsergebnissen handelt es sich wohl eher um einen Mord. Mehr Details kenne ich nicht. Ich hätte gern, dass Sie am Tatort zu mir stoßen.«
Servaz spürte, wie ihm eine eiskalte Hand über den Nacken strich. Das, was er befürchtet hatte, war eingetreten. Zuerst die DNA von Hirtmann – und jetzt das. Was hatte das zu bedeuten? War es der Anfang einer Serie? Dieses Mal war es dem Schweizer mit Sicherheit nicht gelungen, die Anstalt zu verlassen.
Aber wer hatte den Mann unter der Brücke dann getötet?
»Einverstanden«, antwortete er, »ich sag Espérandieu Bescheid.«
Sie sagte ihm, wohin er fahren sollte, dann legte sie auf. In der Nähe stand eine Bank. Servaz setzte sich darauf. Er befand sich im Park am Fuß des Pont-Neuf, dessen Rasenflächen sanft zur Garonne hin abfielen. Zahlreiche Jogger waren am Fluss unterwegs.
»Espérandieu«, sagte Espérandieu.
»Wir haben einen Toten, in Saint-Martin.«
Es entstand eine Pause. Dann hörte Servaz, wie Espérandieu mit jemandem sprach. Seine Stimme wurde durch eine Hand auf der Muschel gedämpft. Er fragte sich, ob Vincent noch mit Charlène im Bett war.
»Okay, ich mach mich fertig.«
»Ich hol dich in zwanzig Minuten ab.«
Dann ging ihm – zu spät – auf, dass das unmöglich war. Er hatte, laufend, zehn Minuten gebraucht, um hierherzukommen, und in seinem Zustand bräuchte er für den Rückweg auf jeden Fall länger. Er rief Espérandieu an.
»Ja?«
»Lass dir Zeit. Ich schaffe es nicht vor einer guten halben Stunde.«
»Bist du nicht bei dir zu Hause?«, fragte Espérandieu überrascht.
»Ich war gerade beim Frühsport.«
»Frühsport? Was für ein Frühsport?«
Am Tonfall war zu erkennen, dass Espérandieu ihm nicht glaubte.
»Joggen.«
»Du läufst?«
»Es war das erste Mal«, rechtfertigte sich Servaz gereizt.
Er ahnte, dass Espérandieu am anderen Ende grinste. Vielleicht grinste Charlène Espérandieu, neben ihrem Mann liegend, ebenfalls. Machten sie sich manchmal über ihn und seinen Lebenswandel als Geschiedener lustig, wenn sie unter sich waren? Andererseits war er sich sicher, dass ihn Vincent bewunderte. Er war unglaublich stolz gewesen, als Servaz sich einverstanden erklärt hatte, der Pate seines nächsten Kindes zu werden.
Als er seinen Wagen auf dem Parkplatz am Cours Dillon erreichte, hatte er bohrendes Seitenstechen. In seiner Wohnung angekommen, ging er unter die Dusche, rasierte sich und zog frische Klamotten an. Dann fuhr er wieder los, Richtung Stadtrand.
Ein neues Einfamilienhaus, davor eine nicht eingezäunte Rasenfläche, durch die, im amerikanischen Stil, ein halbkreisförmiger asphaltierter Weg zur Garage und zum Eingang führte. Servaz stieg aus. Ein Nachbar, der ganz oben auf einer Leiter stand, montierte am Rand seines Dachs einen Weihnachtsmann; etwas weiter in der Straße spielten Kinder Ball; ein Paar um die fünfzig, groß und schlank, im enganliegenden Jogginganzug mit fluoreszierenden Streifen, lief auf dem Gehsteig an ihm vorbei. Servaz ging die Zufahrt hinauf und läutete.
Er blickte sich um, um den gefährlichen Bewegungen des Nachbarn zu folgen, der sich an der Spitze der Leiter mit seinem Weihnachtsmann und den Girlanden abmühte.
Als er wieder geradeaus sah, fuhr er fast zusammen: Charlène Espérandieu hatte lautlos die Tür geöffnet, und jetzt stand sie lächelnd vor ihm. Sie trug eine dünne Kapuzenweste über einem lila T-Shirt und einer Schwangerschaftsjeans. Sie war barfuß. Ihr runder Bauch war nicht zu übersehen. Und ihre Schönheit. Alles an Charlène Espérandieu war Leichtigkeit, Zierlichkeit und Esprit. Selbst die Schwangerschaft schien sie nicht schwerfällig zu machen, konnte ihrer Grazilität und ihrem Humor nichts anhaben. Charlène leitete eine Kunstgalerie im Zentrum von Toulouse; Servaz war zu einigen Vernissagen eingeladen worden, und er hatte an den weißen Wänden fremdartige, verstörende und manchmal faszinierende Werke gesehen. Einen Moment lang verharrte er reglos. Dann fing er sich wieder und lächelte sie in diskreter Verehrung an.
»Komm rein. Vincent ist gleich so weit. Willst du einen Kaffee?«
Ihm wurde bewusst, dass er seit dem
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