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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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zeigte ihm die Stahlbrücke, unter der man im weißen Lichthof die vagen Umrisse einer menschlichen Figur erahnte.
    »Es ist entsetzlich!«, schrie sie über das Tosen des Wildbachs hinweg.
    »Was wissen wir?«, schrie er seinerseits.
    Die Beamtin deutete auf einen jungen Mann in orangem Poncho, der auf einem Stein saß, dann gab sie ihm einen Überblick über die Geschehnisse: der junge Mann bei seinem Berglauf, die Leiche unter der Brücke, Capitaine Maillard, der den Tatort abgeriegelt und das Handy des einzigen Zeugen beschlagnahmt hatte, und die Tatsache, dass die Presse trotzdem Wind von der Sache bekommen hatte.
    »Was macht der Bürgermeister hier?«, wollte Servaz wissen.
    »Wir haben ihn gebeten zu kommen, um die Leiche zu identifizieren, falls es sich um einen Bürger der Gemeinde handeln sollte. Vielleicht hat er die Presse informiert. Politiker – selbst die kleinen – sind immer auf Journalisten angewiesen.«
    Sie machte kehrt und ging Richtung Tatort.
    »Wir haben das Opfer sehr wahrscheinlich identifiziert. Laut Aussage des Bürgermeisters und Maillards handelt es sich um einen gewissen Grimm, einen Apotheker aus Saint-Martin. Maillard sagt, seine Frau hat die Gendarmerie angerufen, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben.«
    »Eine Vermisstenanzeige?«
    »Ihrer Darstellung nach ist ihr Mann gestern, wie jeden Samstag, zu seinem Pokerabend gegangen, und er hätte gegen Mitternacht zurück sein sollen. Sie hat bei der Gendarmerie angerufen, um zu melden, dass er nicht nach Hause gekommen ist und dass sie nichts von ihm gehört hat.«
    »Um wie viel Uhr?«
    »Acht Uhr. Als sie heute Morgen aufgewacht ist, hat sie sich gewundert, dass sie ihn im ganzen Haus nicht finden konnte und dass sein Bett unbenutzt war.«
    »
Sein
Bett?«
    »Sie schliefen getrennt«, bestätigte sie.
    Sie gingen näher heran. Servaz machte sich innerlich bereit. Starke Scheinwerfer leuchteten zu beiden Seiten der Brücke. Die Dunstschwaden, die an ihnen vorüberzogen, erinnerten an den Rauch von Kanonen auf einem Schlachtfeld. In dem blendenden Licht der Scheinwerfer war alles Dampf, Dunst und Gischt. Der Wildbach selbst dampfte, ebenso die Felsen – sie hatten die Schärfe und den Glanz blanker Waffen. Servaz ging weiter. Das Tosen des Wassers hallte in seinen Ohren wider und vermischte sich mit dem seines Blutes.
    Der Körper war nackt.
    Feist.
    Weiß.
    Wegen der Feuchtigkeit glänzte seine Haut in dem blendenden Scheinwerferlicht so, als wäre sie eingeölt. Sein erster Gedanke war, dass der Apotheker dick war – sogar sehr dick. Zuerst zogen das Nest schwarzer Haare und das winzige, zwischen den massigen, speckfaltigen Schenkeln wie eingeschrumpfte Geschlecht seine Aufmerksamkeit auf sich. Anschließend wanderte sein Blick aufwärts, über den weißen, haarlosen, ebenfalls mit Speckfalten übersäten Bauch bis zur Kehle, die von einem Gurt zugeschnürt wurde; er hatte sich so tief ins Fleisch gebohrt, dass er fast darin verschwand. Und zu guter Letzt die ins Gesicht gezogene Kapuze und das große schwarze Regencape im Rücken, wie die Flügel eines schwarzen Schmetterlings.
    »Weshalb zieht er seinem Opfer ein Cape über, um es anschließend nackt aufzuhängen?«, sagte Espérandieu mit seltsam veränderter, zugleich heiserer und schriller Stimme.
    »Weil das Cape eine Bedeutung hat«, antwortete Servaz. »Genauso wie die Nacktheit.«
    »Was für ein verdammter Anblick!«, ergänzte Espérandieu.
    Servaz wandte sich zu ihm um. Er zeigte ihm den jungen Mann im orangefarbenen Poncho, der etwas weiter unten saß.
    »Leih dir ein Auto, fahr ihn zur Gendarmerie und nimm seine Aussage auf.«
    »Okay«, sagte Espérandieu und entfernte sich schnell.
    Zwei Kriminaltechniker im weißen Overall und mit Mundschutz beugten sich über das Metallgeländer. Einer hatte eine Stablampe herausgenommen und ließ das Lichtbündel über den Körper gleiten.
    Ziegler zeigte mit dem Finger auf ihn.
    »Der Rechtsmediziner hält die Strangulation für die Todesursache. Sehen Sie die Gurte?«
    Sie deutete auf die beiden Gurte, die zusätzlich zu dem vertikalen Gurt, der seine Kehle abschnürte, tief in die Handgelenke des Toten einschnitten und sie mit der Brücke über ihm verbanden; seine Arme waren v-förmig über seinem Kopf gespreizt.
    »Offenbar hat der Mörder den Körper allmählich in die Tiefe hinuntergelassen, und zwar über die seitlichen Gurte. Je weiter er sie abwickelte, umso stärker schnürte der mittlere Gurt den Hals des Opfers

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