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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Aufstehen noch immer nichts zu sich genommen hatte. Er folgte ihr in die Küche.
    »Vincent hat mir gesagt, du treibst jetzt Sport«, sagte sie, während sie eine Tasse zu ihm hinschob.
    Der scherzhafte Ton entging ihm nicht. Er war ihr dankbar, dass sie die Atmosphäre auflockerte.
    »Es war nur ein Versuch. Ziemlich erbärmlich, wie ich gestehen muss.«
    »Bleib am Ball. Gib nicht auf.«
    »
Labor omnia vincit improbus.
 – Beharrliche Anstrengung bringt alles zuwege«, übersetzte er, mit dem Kopf nickend.
    Sie lächelte.
    »Vincent hat mir gesagt, dass du oft lateinische Sentenzen zitierst.«
    »Das ist ein kleiner Trick, um in wichtigen Momenten die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.«
    Kurz war er versucht, ihr von seinem Vater zu erzählen. Er hatte noch mit niemandem über ihn gesprochen, aber wenn es jemanden gab, dem er sich hätte anvertrauen können, dann ihr: Das hatte er gleich am ersten Abend gespürt, als sie ihn einem regelrechten Verhör unterzogen hatte – allerdings einem freundlichen und zeitweise sogar liebevollen Verhör. Sie nickte beifällig, ehe sie erklärte:
    »Vincent bewundert dich sehr. Mir ist aufgefallen, dass er manchmal versucht, dich nachzuahmen, so zu handeln oder so zu reagieren, wie er glaubt, dass du handeln oder reagieren würdest. Zuerst habe ich nicht verstanden, woher diese Veränderungen bei ihm kamen. Als ich dich beobachtet habe, ist es mir dann klargeworden.«
    »Ich hoffe, dass er nur die guten Seiten kopiert.«
    »Das hoffe ich auch.«
    Er schwieg. Espérandieu platzte in die Küche hinein; er streifte sich gerade einen silberfarbenen Blouson über, den Servaz zu diesem Anlass doch etwas unpassend fand.
    »Ich bin so weit!« Er legte eine Hand auf den gewölbten Bauch seiner Frau. »Pass auf euch beide auf.«
    »Im wievielten Monat?«, fragte Servaz im Auto.
    »Im siebten. Mach dich darauf gefasst, bald Pate zu werden. Wie wär’s, wenn du mir sagst, was passiert ist?«
    Servaz erzählte ihm das bisschen, das er wusste.
     
    Anderthalb Stunden später stellten sie den Wagen auf dem Parkplatz des Supermarkts ab, auf dem sich bereits Fahrzeuge der Gendarmerie, Motorroller und Schaulustige drängten. Irgendwie war die Nachricht durchgesickert. Der Nebel hatte sich ein wenig gelichtet, er bildete nur noch einen durchscheinenden Schleier – als würden sie alles durch eine beschlagene Fensterscheibe betrachten. Servaz entdeckte mehrere Pressefahrzeuge, darunter eines des regionalen Fernsehsenders. Die Journalisten und die Schaulustigen hatten sich am Fuß der Auffahrt versammelt; auf halber Höhe untersagte ihnen das gelbe Absperrband der Gendarmerie jeglichen Durchgang. Servaz zückte seinen Dienstausweis und hob das Band an. Einer der Gendarmen wies ihnen den Weg. Sie ließen das geschäftige Treiben hinter sich und stiegen schweigend den Weg hinauf, wobei ihre Anspannung stetig zunahm. Bis zu den ersten Serpentinen begegneten sie niemandem – doch der Nebel wurde mit der Höhe immer dichter. Er war kalt und feucht wie ein nasser Handschuh.
    Auf halber Höhe spürte Servaz wieder sein Seitenstechen. Er ging langsamer, um zu Atem zu kommen, ehe er die letzte Kehre in Angriff nahm, und hob den Kopf. Über ihnen im Dunst kamen und gingen zahlreiche Gestalten. Und da leuchtete ein großer weißer Lichthof – als stünde dort oben im Nebel ein Lkw mit eingeschalteten Scheinwerfern.
    Die letzten hundert Meter erklomm er mit der wachsenden Überzeugung, dass der Mörder diese Kulisse bewusst ausgewählt hatte. Wie beim ersten Mal.
    Er überließ nichts dem Zufall.
    Er kannte sich hier aus.
    Das passt nicht zusammen, sagte er sich. War Hirtmann bereits hier gewesen, bevor er in die Anstalt überstellt worden war? Kannte er die Gegend womöglich? Lauter Fragen, auf die sie eine Antwort finden mussten. Ihm fiel sein erster Gedanke bei d’Humières’ Anruf ein: Dieses Mal konnte Hirtmann die Anstalt unmöglich verlassen haben. Aber wer sonst konnte den Mann unter der Brücke umgebracht haben?
    Durch die Nebelschwaden hindurch erkannte Servaz die Capitaines Ziegler und Maillard. Ziegler war in ein Gespräch mit einem sonnengebräunten kleinen Mann mit weißer Löwenmähne vertieft, den Servaz schon einmal gesehen hatte. Dann fiel es ihm wieder ein: Es war Chaperon, der Bürgermeister von Saint-Martin – dem er im Kraftwerk begegnet war. Irène Ziegler wechselte noch ein paar Worte mit dem Bürgermeister, ehe sie auf sie zukam. Servaz stellte sie Espérandieu vor. Sie

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