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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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die meisten dieser …
Individuen …
quasi pharmaresistent sind. Daher jonglieren wir mit Cocktails aus Tranquilizern und Neuroleptika, die einen Stier umhauen würden: vier Einnahmen pro Tag statt drei, und dann gibt es die Elektroschocks, die Zwangsjacke, und wenn nichts anderes funktioniert, greift man auf den Wunderwirkstoff zurück, Clozapin …«
    Diane hatte davon gehört: Clozapin war ein atypisches Antipsychotikum, das zur Behandlung von Schizophrenien verwendet wurde, die auf andere Medikamente nicht ansprachen. Wie die meisten Medikamente, die in der Psychiatrie verwendet wurden, hatte auch Clozapin mitunter gravierende Nebenwirkungen: Inkontinenz, vermehrten Speichelfluss, Sehstörungen, Gewichtszunahme, Krämpfe, Thrombosen …
    »Man muss sich klarmachen«, fügte er mit einem matten Lächeln hinzu, das ihm im Gesicht gefror, »dass hier immer ein hohes Gewaltrisiko besteht.«
    Sie hörte im Geiste die Worte Xaviers: »Die Intelligenz entwickelt sich nur dort, wo es Veränderung
und Gefahr
gibt.«
    »Gleichzeitig ist es hier aber sicherer als in gewissen Großstadtvierteln.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Unter uns gesagt, liegt das Steinzeitalter der Psychiatrie noch nicht lange zurück. Da wurden die Patienten mit unvorstellbar grausamen Behandlungsmethoden traktiert, die der Folter der Inquisition oder der Naziärzte in nichts nachstanden … Die Dinge haben sich weiterentwickelt, aber es bleibt viel zu tun … Man spricht hier nie von Heilung, sondern von Stabilisierung, Abschwächung der Symptome …«
    »Haben Sie hier noch andere Aufgaben?«, fragte sie.
    »Ja. Es gibt die ganze administrative Arbeit: den Papierkram, die Formalitäten …«
    Sie sah kurz nach draußen.
    »Und dann gibt es die Gespräche mit den Pflegern, die Dr. Xavier und die Leiterin des Pflegediensts anordnen.«
    »Wie sehen die aus?«
    »Die sind streng reglementiert. Wir wenden ausgetüftelte Verfahren an, es handelt sich um strukturierte Gespräche, mehr oder minder Standardfragebögen, aber wir improvisieren auch … Wir müssen eine möglichst neutrale Haltung einnnehmen, dürfen uns nicht allzu invasiv zeigen, um die Angst zu mindern … Wir müssen Phasen des Schweigens respektieren … Pausen machen … Andernfalls kommt es schnell zu heiklen Situationen …«
    »Führen Xavier und Ferney ebenfalls solche Therapiegespräche?«
    »Ja, natürlich.«
    »Unterscheiden sich die Gespräche, die Sie führen, von denen, die Xavier und Ferney führen?«
    »Nein, eigentlich nicht. Außer, dass uns gewisse Patienten Dinge anvertrauen, die sie ihnen nicht anvertrauen würden. Weil wir ihnen im Alltag näher sind und versuchen, eine Vertrauensbeziehung zwischen Pflegekräften und Patienten aufzubauen … Im Übrigen entscheiden über die Medikation und sonstige therapeutische Maßnahmen Xavier und Elisabeth …«
    Bei diesem letzten Satz hatte seine Stimme seltsam geklungen. Diane blickte hoch.
    »Offenbar heißen Sie ihre Entscheidungen nicht immer gut.«
    Sein Schweigen verwunderte sie. Es dauerte so lange, bis er antwortete, dass sie eine Braue hochzog.
    »Sie sind neu hier, Diane … Sie werden sehen …«
    »Was werde ich sehen?«
    »…«
    Er warf ihr einen verstohlenen Blick zu. Offenbar hatte er keine Lust, sich auf dieses Terrain zu begeben. Aber sie wartete, ihr Blick ein Fragezeichen.
    »Wie soll ich sagen? … Sie wissen ja, dass diese Einrichtung hier ziemlich einmalig ist … Wir behandeln Patienten, vor denen alle anderen Kliniken kapituliert haben … Was hier los ist, hat nichts mit dem zu tun, was sonst wo los ist.«
    »Zum Beispiel die Elektroschocks ohne Betäubung, die man den Patienten der Station A verabreicht?«
    Im nächsten Moment bereute sie ihre Worte. Sie sah, wie sein Blick um einige Grad kälter wurde.
    »Wer hat Ihnen das erzählt?«
    »Xavier.«
    »Lassen wir das.«
    Er fixierte seinen Milchkaffee, seine Stirn lag in Falten. Er schien sich darüber zu ärgern, dass er sich auf dieses Gespräch eingelassen hatte.
    »Ich bin mir nicht einmal sicher, ob das legal ist«, hakte sie nach. »Ist das nach französischem Recht erlaubt?«
    Er hob den Kopf.
    »Nach französischem Recht? Wissen Sie, wie viele psychiatrische Zwangseinweisungen es jedes Jahr in diesem Land gibt?
Fünfzigtausend …
In den modernen Demokratien sind Zwangseinweisungen ohne Einverständnis des Patienten die Ausnahme. Nicht bei uns … Psychisch Kranke – und selbst diejenigen, die man nur dafür hält –

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