Schwarzer Schwan
irgendeine Filiale. In seiner Mittagspause suchte Dominik die Zentrale der RheinBank auf, nur wenige Straßenbahnstationen vom Präsidium entfernt an der Westseite der Königsallee gelegen. Ein Prunkbau aus einer Zeit, in der Krisen noch kein Thema waren: zwei elegante Scheiben aus Glas, Beton und Stahl, jeweils ein gutes Dutzend Stockwerke hoch, dazwischen ein lichtdurchflutetes Foyer, das zu den Aufzügen führte.
Dass der Reichtum der einen die Armut der anderen bedingte, war Dominik klar. Aber beruhte das System nicht darauf, dass jeder versuchte, das Beste für sich herauszuholen? Und wenn es nur eine passable Verzinsung für die Summe war, die sich in der letzten Zeit auf seinem Girokonto angehäuft hatte – Dominik kam nicht dazu, viel auszugeben, und in manchen Monaten genügte für seinen täglichen Bedarf das Honorar, das Jochen ihm für die gelegentlichen Nebenjobs in bar bezahlte.
In der Schalterhalle war es angenehm kühl. Graue Trennwände bildeten Nischen, in denen die Beratung für Normalbürger stattfand.
Der Anzugträger hinter dem Schreibtisch lächelte verschwörerisch. »Was halten Sie davon, wenn wir in den etwas chancenorientierteren Bereich gehen?«
Klingt gut, dachte Dominik. »Ich habe gelesen, dass zum Beispiel spanische Staatsanleihen eine gute Rendite bringen.«
Der Kundenberater hob die Augenbrauen. »Spanien? Viel zu riskant! Wurde gerade erst herabgestuft. Steht kaum besser da als Griechenland oder Portugal. Erinnern Sie sich an die argentinische Schuldenkrise vor ein paar Jahren? Ein Kunde von mir hatte argentinische Staatspapiere gekauft – gegen meinen Rat! – und alles verloren. Nein, da habe ich etwas Besseres für Sie, Herr Roth.«
Der Banker zog eine Schublade auf und legte Dominik einen Hochglanzprospekt vor. »Speziell für unsere Premiumkunden: Schauen Sie, ein Immobilienfonds, der ausschließlich in exklusive Gewerbeimmobilien in den Toplagen europäischer Metropolen investiert.«
Premiumkunden hörte sich auch nicht schlecht an. Dominiks Handy vibrierte in der Tasche seiner Jeans. Er ignorierte es.
Sein Gegenüber trug eine Uhr, die teuer aussah. Der Anzug wirkte modisch, vermutlich auf der anderen Seite der Kö gekauft. Wenn einer weiß, wie man sein Geld vermehrt, dann ein Berater der RheinBank.
»Mit Immobilien kann Ihnen keine Inflation etwas anhaben. Und der Fonds nutzt eine Lücke im deutschen Steuerrecht. Die Verluste der ersten Jahre wirken sich extrem steuersparend aus.«
»Verluste?«
»Keine Sorge, Herr Roth. Bis zum Ende der Laufzeit wird ein Gewinn von mindestens achtzig Prozent erwartet. Ihre Zehntausend werden sich also in etwa verdoppelt haben. Minimum.« Der Berater wies auf eine Kurve im Prospekt, die immer steiler anstieg. Dann tippte er etwas in seine Tastatur und der Drucker ratterte los.
»Garantiert?«, fragte Dominik.
»Was im Leben ist schon garantiert?«
»Und wenn ich vorher an das Geld möchte?«
»Die Laufzeit beträgt acht Jahre. So lange müssen Sie sich schon gedulden. Aber natürlich können Sie jederzeit Ihren Fondsanteil beleihen. Wir bieten derzeit besonders gute Konditionen. Wie viel benötigen Sie denn?« Der Banker legte ein Faltblatt neben den Prospekt.
Flexi-Plus-Privatkredit, las Dominik. Ab 3,99 Prozent. Eigentlich wollte er Zinsen bekommen, nicht bezahlen. »Und wenn ich nur einen Teil …«
»Das geht leider nicht. Zehntausend Euro beträgt die Mindesteinlage. Das haben die Fondsgründer so festgelegt, um ganz in Ihrem Sinne die Verwaltungsgebühren niedrig zu halten.«
»Gebühren kommen da auch noch drauf?«
»Zwei Komma fünf Prozent im Jahr, sagenhaft günstig für einen Fonds dieser Klasse. Und auch der Ausgabeaufschlag fällt mit einmalig drei Prozent ausgesprochen gering aus. Aber warten Sie, ich kann da noch etwas …«
Der Bankangestellte tippte wieder und studierte die Botschaft auf seinem Monitor. »Wenn Sie etwas größer einsteigen könnten, Herr Roth, sagen wir mit zwanzigtausend, kann ich Ihnen noch einmal entgegenkommen. Zwei Prozent Ausgabeaufschlag statt drei. Das würde natürlich die Rendite noch mehr erhöhen. Aber …«, er senkte die Stimme, »das biete ich jetzt nur Ihnen. Und bitte, das muss unter uns bleiben, versprochen?«
Dominik überlegte. Er könnte statt des Flexi-Dingsda-Kredits seinen Freund Jochen anpumpen. Aber wollte er wirklich sein Erspartes so lange fest anlegen? Sein Honda hatte zwölf Jahre auf dem Buckel und würde irgendwann den Geist aufgeben. Eigentlich wollte
Weitere Kostenlose Bücher