Schwarzer Schwan
nicht einmal ein Phantombild gab, obwohl der Taxifahrer den Täter gesehen hatte. Nur eine Allerweltsbeschreibung: mittelgroß, Jeans, olivgrüner Windbreaker, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen.
Es sei alles sehr schnell gegangen. Kein Wortwechsel, kein Streit. Der Täter hatte einfach geschossen, sobald die Frau ausgestiegen war. In den Kopf, vermutlich mit Schalldämpfer. Als sie lag, noch ein zweites und drittes Mal.
Ein Täter, der genau wusste, wen er vor sich hatte und was er wollte, dachte Dominik. Ein Killer.
Fast vierzig Stunden waren seit dem Mord nun vergangen.
Dominik trug den Inhalt seines Posteingangsfachs in sein Büro.
Sechzehn neue Anzeigen. Beim Lesen musste Dominik lachen. Einige Anbieter hatten die Masche geändert: Aus Quiz-Fuchs war Schutz-Fuchs geworden. Gegen eine Gebühr von 58,50 Euro im Monat versprach man die Einstellung ungebetener Telefonanrufe und eine »Eintragung in deutsche Werbesperrlisten«. Und auch darauf fielen die Leute herein.
Dominik wählte die Nummer von Anna Winkler, mit der er bei seiner einzigen Mordermittlung ein Team gebildet hatte. Sie hatten einigermaßen harmoniert.
Vor der letzten Ziffer zögerte er. Beim Feierabendbier in der Altstadt hatte er Anna damals angebaggert, was ihm heute noch peinlich war. Dabei war sie liiert gewesen und nüchtern betrachtet interessierte sie ihn nicht einmal besonders.
Dominik drückte die Taste trotzdem.
Nach dem zweiten Klingeln meldete sich die KK-11Kollegin.
»Was macht die neue Leichensache?«, fragte er.
»Damit hab ich nichts mehr zu tun.«
»Ich dachte …«
»Das Opfer war ’ne mittelgroße Nummer in der Wirtschaft. Mit einem Staatssekretär aus der Bundesregierung zusammen und mit weiteren Leuten befreundet, die sich alle fürchterlich wichtig machen. Du kannst dir denken, was da abgeht. Unser Innenminister will täglich unterrichtet werden. Das Landeskriminalamt lauert darauf, dass die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe den Mord zum politischen Fall erklärt. Ela Bach leitet die Ermittlung selbst und hat die Kommission mit ihren Lieblingen besetzt. Wenigstens komme ich jetzt dazu, alten Papierkram zu erledigen.«
»So hat alles etwas Gutes.«
»Dachtest du etwa, ich könnte dir Abwechslung verschaffen?«
»Wollte nur mal hören, wie’s dir so geht.«
»Dominik!« Anna lachte. »Wenn du ins KK 11 möchtest, musst du schon mit Ela Bach flirten. Oder am besten gleich mit Inspektionsleiter Thann.«
»Sind beide nicht so ganz mein Typ.«
»Vielleicht bist du zu wählerisch.«
Noch etwas Small Talk, dann legte er auf.
Die Mordermittler wollen dich nicht, dachte Dominik. Er riss die Blätter der letzten Tage vom Kalender. Der heutige Spruch stammte von einem Kerl namens Aristophanes: Regieren ist keine Sache für Leute von Charakter und Erziehung .
Internetlotterien auch nicht, dachte Dominik. Aber was blieb ihm anders übrig? Er nahm wieder Platz und formu- lierte sein Standardantwortschreiben um, damit es auch die Fälle à la Schutz-Fuchs abdeckte.
Irgendwann könnt ihr alle mich kreuzweise, sagte sich Dominik. Sein Freund Jochen hatte ihm angeboten, fest bei Urban Ermittlungen einzusteigen.
Dominik nahm sich vor, das zu tun – falls sich nicht bald etwas änderte.
21.
Lutz, Hannas Teamchef, war aus dem Urlaub zurück und hatte sie prompt wieder zu seiner Handlangerin degradiert. Ein Kunde wollte Rohstoffvorkommen in Afrika ausbeuten, es ging um sogenannte Seltenerdmetalle: Terbium für Halbleiter, Lanthan für Batterien, Yttrium für Leuchtstofflampen und Thulium, das man in der Röntgentechnik benötigte.
Weil China die meisten Vorkommen besaß und den Export beschränkte, um der eigenen Industrie Vorteile zu verschaffen, war die aufwendige Suche nach neuen Lagerstätten im Rest der Welt profitabel geworden.
Der Kunde hieß Modern Mining Ltd . und brauchte einen Kredit im dreistelligen Millionenbereich. Noch vor ein paar Tagen hätte Hanna die Arbeit Spaß bereitet, aber heute hatte sie den Eindruck, dass Lutz ihr weniger Informationen zukommen ließ, als sie benötigte. Als lege er es darauf an, sie schlecht aussehen zu lassen. Stattdessen hielt er ihr das Display seines Smartphones unter die Nase und ließ die Fotos der schicken Hütte bestaunen, die er in Florida gemietet hatte. Inklusive Motorjacht, versteht sich.
Platzhirschgehabe – der RheinBank-Alltag hatte Hanna zurück. Aber sie war nicht mehr dieselbe. Ihr war die Gewissheit abhandengekommen, dass das, was sie tat, ihr Traumberuf
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