Schwarzer Schwan
war.
Die freien Tage mit Leonie waren wie im Flug vergangen. Gestern hatten sie in Fotoalben geblättert. Das Mädchen hatte sich am Werdegang seiner Tante interessiert gezeigt. Ein Schwelgen in alten Zeiten: Unmittelbar nach ihrem Studium hatte Hanna bei der Londoner Dependance der Deutschen Bank ein Praktikum absolviert. Eine aufregende Phase. Der Derivatehandel war damals das angesagteste Ding gewesen. Die Banker trugen Armani-Anzüge mit hochgekrempelten Ärmeln und redeten Bierkutscher-Slang – Hanna war sich vorgekommen wie auf einem fremden Planeten.
Peter Bauer, so hatte der andere deutsche Praktikant in ihrer Abteilung geheißen. Später hatte er der Finanzwirtschaft den Rücken gekehrt, und Hannas letzte Information war, dass Peter bei Transparency International in Berlin arbeitete, einer nichtstaatlichen Organisation, die weltweit Korruption anprangert und aufzudecken versucht. Ob die Mobilfunknummer in ihrem zerfledderten Notizbuch noch stimmte?
Hanna wählte und ließ es klingeln. Fünf, sechs Mal, ohne dass eine Mailbox ansprang.
Als sie beim siebten Klingeln auflegen wollte, war plötzlich eine Stimme in der Leitung, die etwas gehetzt klang.
»Bauer.«
Sie sah das Foto vor sich, das sie gestern wiederentdeckt hatte: eine Betriebsfeier, der Blondschopf hinten rechts, ein hübscher Bursche, wenn auch zu soft für das Haifischbecken. Sie hatten sich später einmal in Berlin getroffen, auch das war schon einige Zeit her.
Peter gab sich erfreut, ihre Stimme zu hören. Hanna erzählte ihm von der Sache, die ihr zu schaffen machte. Pelican Trust. Die Cayman Islands und deren Minister für Tourismus und Entwicklung – den Politiker hatte der Anwalt erwähnt, den sie um Rat gefragt hatte: Aber sicher nur als ein weiterer Strohmann …
»Kennst du dich in der Karibik aus?«, fragte Hanna.
»Nein, aber nach den Sommerferien trifft sich unsere Regionalgruppe und da kann ich mich gern mal erkundigen.«
»Sorry, das dauert mir zu lange.«
»Na gut. Ich rufe dich in fünf Minuten zurück.«
Geht doch, dachte Hanna. Sie registrierte, dass Abteilungsleiter Ahrendt ihr mal wieder gemailt hatte. Er bestellte sie zu einer Besprechung. Du musst warten, beschloss Hanna. Sie wollte Peter Bauer nicht verpassen.
Es dauerte fast eine halbe Stunde.
»Also«, begann Peter, »zuerst dachte ich, unser Zentrum für Lateinamerika und die Karibik könnte weiterhelfen. Doch die Caymans sind zwar weitgehend autonom, aber immer noch britische Kronkolonie. Kannst du dich an Mick erinnern, Mick Chandler?«
»Nein, wer soll das sein?«
»Hanna, Mick! Mick Chandler! Er war mit uns bei der Deutschen Bank in London. Dieser lustige Typ, höchstens eins sechzig groß, rund wie ein Fußball, die Haare blondiert und voller Gel, fast wie ein Punk. Er arbeitet inzwischen beim Schatzkanzler. Du musst dich doch an ihn erinnern!«
»Nein, Peter, sorry.« Hanna fand, dass kleine, fette Kerle mit verklebten Haaren nicht unbedingt der Erinnerung wert waren. Aber sie würde das Foto noch einmal hervorkramen.
»Jedenfalls meint Mick, dass deine Stiftung alle paar Tage Firmen oder Firmenanteile kauft und verkauft. Julian Adams heißt der Mann, auf dessen Namen das Geschäft läuft, und er ist tatsächlich kein Geringerer als der dortige Tourismusminister. Er hat seine Finger in allen möglichen Geschäften, vielleicht sogar im Drogenhandel. Mick hat kürzlich herausbekommen, wer Adams für seine diversen Strohmann-Jobs schmiert. Ich darf aber nichts verraten, denn Mick will nicht, dass die Öffentlichkeit vorzeitig davon erfährt.«
»Peter, ich bin nicht die Öffentlichkeit.«
»Schon, aber …«
»Sag deinem Mick, dass ich ihm nicht in seine politischen Spielchen pfuschen werde.«
»Die britische Regierung sorgt sich um das Ausmaß der Korruption. Mick arbeitet eng mit der Opposition auf den Caymans zusammen. Man will koordiniert gegen Adams vorgehen und der Minister soll auf keinen Fall gewarnt werden.«
»Noch einmal zum Mitmeißeln: Ich verrate kein Sterbenswörtchen. Mir geht es ausschließlich um den Fall Pelican Trust. «
»Versprochen?«
»Ja. Hat Pelican Trust etwa mit Drogen zu tun?«
»Nein. Hinter Pelican Trust steckt ein ganz seriöser Finanzdienstleister aus Deutschland. Er heißt Helios Investments und gehört zu großen Teilen …«
Hanna wurde hellhörig. Helios … – ihr war der Firmenname schon einige Male begegnet. Ein kleiner Investmentfonds, der nicht über die großen Banken vermarktet wurde, aber unter
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