Schwarzer Schwan
drastisch langsamer zu werden, während sich ihm von vorn gleichzeitig eine Straßenbahn näherte. Dominik schaffte es, den Audi einzuholen, rüttelte erneut an der Tür – verriegelt. Er schlug im Laufen mit der Faust auf das Dach, um Sax einzuschüchtern.
Dann zielte er auf den Mann.
Sax schenkte Dominik keine Beachtung. Schweiß auf der Stirn, den Blick starr nach vorn gerichtet.
Im gleichen Moment war die Straßenbahn vorbeigefahren. Sax ließ den Motor jaulen. Der Wagen umkurvte den Radfahrer, beschleunigte weiter und verschwand über die nächste Kreuzung.
Keuchend blieb Dominik stehen. Der Lkw setzte sich in Bewegung, die lärmende Fanfare ließ Dominik ein zweites Mal zusammenzucken.
Er zeigte den Mittelfinger, steckte die Waffe weg und ging zurück zu Anna, die bereits am Dienstfahrzeug stand und über Funk die Leitstelle benachrichtigte: Sax’ Äußeres, der Audi A6, das Kennzeichen – sie hatte sich jede Ziffer eingeprägt.
Ihr Hals war rot angelaufen, wo Sax sie geschlagen hatte. Anna bemerkte Dominiks besorgten Blick und winkte ab.
Sie hatten es vergeigt und sich überrumpeln lassen wie blutige Anfänger. Dominik fluchte noch, als sie auf dem Parkplatz der Festung aus ihrem Wagen stiegen, mit einer Kiste voller Datenträger aus Sax’ Wohnung als Beute.
37.
Die Sitzung am dritten Tag des Untersuchungsausschusses war mit Abstand die kürzeste, was Mierscheid sehr entgegenkam. Als einziger Zeuge hatte der ehemalige Finanzminister der SPD ausgesagt, knapp und präzise, aber betont lustlos, fast barsch. Weil die Rettung der Münchner Hypo Estate noch in die Zeit der Großen Koalition gefallen war, trug der Obersozi die Verantwortung, doch jedem war klar, dass damals Staatssekretär Malte Lichtenberg die Fäden geknüpft hatte. Selbst der Vertreter der Linkspartei nahm es hin, dass bei der heutigen Befragung keine Lorbeeren zu gewinnen waren.
Nur Nothbeck, der für die Sozialdemokraten im Ausschuss saß, wollte nicht lockerlassen. Ausdauernd formulierte er in Fragen gekleidete Lobhudeleien und schmeichelhafte Stichworte zur Selbstdarstellung des Zeugen, doch irgendwann bemerkte selbst Nothbeck, dass der Exminister das weder nötig hatte noch schätzte, und Mierscheid gelang es, die heutige Sitzung für beendet zu erklären.
Es war gerade mal kurz nach zwölf Uhr, als er in sein Büro zurückkehrte. Er lockerte seinen Krawattenknoten. Für ein Glas Châteauneuf-du-Pape war es noch zu früh, gestand er sich ein, zumal er gestern Abend zu viel getrunken hatte – Alkohol als das vermeintliche Zaubermittel, um die Unruhe zu überwinden.
Woher hatte Paulas Hass auf Malte und die Finanzbranche gerührt? Lagen dem wirklich nur politische Überlegungen zugrunde? Mierscheid fiel ein, dass Paula den Spiegel erwähnt hatte, mit dem sie in Verhandlungen über eine ›verdammt gute Story‹ gestanden habe. Wo würde Mierscheid jemanden finden, der etwas darüber wusste? In der Zentrale des Magazins oder in dessen Hauptstadtbüro?
Er rief den Spiegel in Hamburg an. Eine Sekretärin oder Redaktionsassistentin meinte, ein Mitarbeiter namens Römer sei der richtige Adressat seiner Fragen, zurzeit jedoch nicht an seinem Platz. Sie weigerte sich, eine Nummer herauszurücken und nahm lediglich Mierscheids Bitte um Rückruf entgegen.
Er überflog die Schlagzeilen der Zeitungen auf seinem Tisch. Die Opposition forderte den Ausstieg aus der Kernenergie, mehr oder weniger rasch. Die Kanzlerin appellierte an die Stromerzeuger, die heruntergefahrenen Anlagen freiwillig ganz stillzulegen. Von einem Ende des Moratoriums war jedoch nicht die Rede.
In mehreren Blättern fand Mierscheid ganzseitige Anzeigen, jeweils gleichlautend. Die Überschrift: Energiepolitischer Appell. Für die regenerative Wende brauche man die Kernkraft als Brückentechnologie. Ein Ausstieg vernichte Kapital in Milliardenhöhe und schade der Umwelt wie der Wirtschaft. Zudem hieß es, Deutschland sei nicht Japan – wer hätte das gedacht.
Die Betreiber trauen der Kanzlerin nicht mehr über den Weg, schoss es Mierscheid durch den Kopf. Sie gehen in die Offensive und verlassen sich nicht allein auf die Hinterzimmergespräche. Mierscheid las die Namensliste der Unterzeichner. Fast ein Who’s who der deutschen Wirtschaft, inklusive Exminister Wolfgang Clement und Exnationalspieler Oliver Bierhoff.
Interessanter war, wer nicht dabei war: Kein Bankenvorstand hatte Flagge zeigen wollen. Auch Dingendorff hatte nicht unterschrieben, obwohl ein Mann wie
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