Schwarzer Skorpion - Thriller (German Edition)
Abdullah“, sagte Ruth auf Arabisch, doch keine der beiden Frauen rührte sich. Überall an den Wänden waren Stoffballen gestapelt, dazwischen standen staubige Kleiderpuppen mit goldgewirkten Dschellabas, hinter dem Verkaufspult hing ein großes Porträt von König Mohammed in einem üppigen Goldrahmen an der Wand. Nach einigen Minuten, in denen Ruth unauffällig den Laden inspiziert hatte, kam hinter einem roten Vorhang ein fetter Mann in einer schmuddeligen Dschellaba hervorgeschlurft.
„Salem aleikum. Du arbeitest jetzt freiberuflich, wurde mir gesagt“, grunzte er und die Andeutung eines Lächelns huschte über sein Krötengesicht.
„So ist es! Ich habe meine Geschäftsbeziehung in beiderseitigem Einvernehmen aufgelöst“, sagte Ruth und griff nach einem schwarzen Seidenschal, der auf dem staubigen Pult lag. Mit einem geübten Griff wickelte sie sich den Schal um ihren Kopf und fühlte sich so in Gegenwart dieser strenggläubigen Moslems sofort bedeutend wohler.
„Wie ich dir bereits bei unserem ersten Gespräch gesagt habe, erhältst du das Paket nur gegen Vorauszahlung.“
„Ich erwarte demnächst ein beträchtliches Honorar für einen Auftrag. Dann bekommst du dein Geld. Hast du jemals darauf warten müssen?“, murmelte Ruth und versuchte die beiden Frauen einzuschätzen, die noch immer unbeteiligt auf dem Boden vor dem Verkaufspult saßen und sich nicht bewegten.
„Ich habe es dir doch schon gesagt: Nur gegen Vorauszahlung gibt es das Paket“, wiederholte Abdullah und seine Stimme wurde noch sanfter, was allerdings ein schlechtes Zeichen war, das konnte Ruth ganz deutlich spüren. „Früher hat Brian Farruk für dich gebürgt, aber jetzt bist du selbstständig.“
Ruth dachte angestrengt nach und die senkrechte Falte auf ihrer Stirn begann heftig zu pulsieren. Immer wieder huschten Fetzen des Telefonats, das David Stein in seiner Finca in Artà geführt hatte, durch ihren Kopf, immer wieder hörte sie seine Stimme, die von einer Million Dollar für einen Auftrag in Marrakesch sprach. David Stein hatte diesen Auftrag angenommen und würde dafür Geld bekommen, viel Geld sogar. Geld, auf das aber Ruth ein Anrecht hatte, Geld, das ausschließlich ihr ganz alleine gehörte.
„Also was ist?“, hörte sie jetzt wieder die sanfte Stimme von Abdullah durch diesen Schleier aus Erinnerungsfetzen und sie sah sein feistes Krötengesicht und die fleischigen Arme, die er vor seinem gigantischen Bauch verschränkt hatte.
„Nun gut“, sagte Ruth gedehnt und langte schnell in ihre Umhängetasche. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie eine der Frauen unter ihrer schwarzen Burka nach etwas griff. Langsam holte Ruth eine schmale Ledertasche hervor und schwenkte sie in der Luft.
„Keine Sorge. Hier geht es nur um Geschäfte!“, sagte sie zu den beiden Frauen am Boden, die jedoch wieder völlig reaktionslos waren.
„Ich schlage dir ein Geschäft vor, Abdullah. Ich möchte einen Teil der Lieferung ausprobieren und hinterlege dafür ein Deposit von fünftausend Dollar. Geht das so für dich in Ordnung?“
Die senkrechte Ader auf ihrer Stirn pulsierte, drohte zu zerspringen und die Flashes, die durch ihren Kopf zuckten, wurden immer heftiger. Das weiße Haus am Meer tauchte auf, genauso wie die endlosen Müllhalden rund um das Flüchtlingslager und der infernalische Gestank, der Tag und Nacht alle Sinne benebelte. Sie sah die verdreckten Kinder mit ihren verschorften Armen und Beinen, spürte plötzlich wieder die Fliegen rund um ihre Augen und begann heftig zu keuchen. Alle diese Bilder brachen wie eine Flutwelle über sie herein, drohten, sie unter diesem Erinnerungsmüll zu begraben.
„Ich habe Vertrauen in dich. Deshalb geht es in Ordnung“, stoppte die samtweiche Stimme von Abdullah diese Flut an Gedanken. Ruth hob den Kopf und atmete erleichtert auf. Abdullah saß inzwischen stoisch wie ein Buddha hinter seinem Tresen und beobachtete sie mitleidig mit seinem Krötengesicht.
„Du verrennst dich da in etwas“, sagte er nach längerem Schweigen.
„Schon möglich“, flüsterte Ruth, „aber ich kann nicht mehr zurück!“
9. Marrakesch – Platz Djemaa el Fna
Tag 2, abends
In einem mit Fackeln ausgeleuchteten Teil des Platzes Djemaa el Fna saßen mehrere Schlangenbeschwörer mit überkreuzten Beinen auf dem Boden und einer von ihnen winkte David Stein auffordernd zu sich. David zog einen 10-Euro-Schein hervor und setzte sich vor den Berber, der einen schwarzen Weidenkorb vor sich stehen hatte.
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