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Schwarzer Sonntag

Schwarzer Sonntag

Titel: Schwarzer Sonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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man ihm nicht die geringste Chance geben würde, seine Unschuld erst noch lange zu beteuern. Der »Schwarze September« würde ihn bei der erstbesten Gelegenheit umlegen. Es war klar, er mußte sich in aller Eile aus seinen Geschäften zurückziehen.
    Muzi holte ein dickes Bündel Geldscheine und einige Bankbücher aus seinem Schließfach in einer Bank im unteren Manhattan. Eines der Bücher trug den Namen des ältesten und angesehensten holländischen Bankhauses. Es enthielt nur eine einzige Eintragung und wies ein Guthaben von 250000 Dollar aus, über das nur er persönlich verfügen konnte.
    Muzi seufzte. Es wäre so schön gewesen, nach Lieferung des Plastiksprengstoffs auch noch die zweite Viertelmillion zu kassieren. Nun würden die Guerillas die Bank in Holland bestimmt eine Weile sorgfältig im Auge behalten. Sollten sie. Er würde das Geld auf ein anderes Konto überweisen lassen und es dann abheben.
    Was ihn aber im Augenblick am meisten interessierte, lag nicht in dem Schließfach. Seine Pässe. Jahrelang hatte er sie dort aufbewahrt, aber nach seiner letzten Reise in den Nahen Osten hatte er sie zu Hause gelassen. Ein unverzeihlicher Fehler. Er mußte sie unbedingt holen. Dann würde er von Newark nach Chicago und weiter nach Seattle und von dort über den Pol nach London fliegen. Wo hatte doch Faruk in London gespeist? Muzi, der Faruks Geschmack und Lebensstil sehr bewunderte, nahm sich vor, es herauszufinden.
    Muzi hatte nicht die geringste Absicht, in sein Büro zurückzukehren. Mochten sie den Griechen ruhig in die Mangel nehmen. Sie würden staunen, wie wenig er wußte. Es sprach alles dafür, daß die Guerillas auch seine Wohnung beobachteten. Aber sie würden sie nicht lange beobachten. Sie hatten jetzt den Sprengstoff bekommen und würden andere Sorgen haben. Also war es dumm, sofort nach Hause zu fahren. Sollten sie ruhig denken, er sei bereits geflohen.
    Er nahm ein Zimmer in einem Motel auf der West Side und trug sich als »Chesterfield Pardue« ein. Er legte zwölf Flaschen Perrier im Waschbecken des Badezimmers auf Eis. Einen Augenblick spürte er ein nervöses Frösteln. Er hatte die größte Lust, sich in die leere Badewanne zu setzen und den Duschvorhang zuzuziehen, aber er fürchtete, mit seinem breiten Hintern in der Wanne steckenzubleiben, wie es ihm einmal in Atlantic City passiert war.
    Das Frösteln ging vorüber. Er lag auf dem Bett, die Hände auf seinem mächtigen Bauch gefaltet, und starrte finster an die Decke. Was für ein Dummkopf war er gewesen, sich mit diesen miesen Guerillas einzulassen. Alles ausgemachte Esel, die nichts als Politik im Kopf hatten. Beirut hatte ihm schon einmal Unglück gebracht - 1967, beim Zusammenbruch der Intra Bank. Diese Pleite hatte ein Loch in seinen Ruhestandsfonds gerissen. Andernfalls hätte er sich längst zur Ruhe gesetzt.
    Er hatte den Verlust schon fast wieder ausgeglichen, als er das Angebot der Araber erhielt; Das enorme Honorar für die illegale Einfuhr des plastique hätte ihn endgültig über den Berg gebracht. Nur deshalb hatte er das Risiko auf sich genommen. Nun ja, die Hälfte des Honorars würde auch reichen.
    Ruhestand. In seiner hübschen kleinen Villa bei Neapel, in der es keine beschwerlichen Treppen gab. Nun war es endlich soweit.
    Angefangen hatte er als Schiffsjunge auf dem Frachter Ali Bey. Schon mit sechzehn Jahren hatte ihm sein Umfang das Erklettern der Kajütstreppen zur Qual gemacht. Als die Ali Bey 1938 nach New York kam, warf Muzi einen Blick auf die Stadt und verließ heimlich und für immer das Schiff. Da er vier Sprachen beherrschte und gut mit Zahlen umgehen konnte, fand er im Brooklyner Hafen mühelos Arbeit. Er wurde Aufseher in einem Lagerhaus. Er arbeitete für einen Türken namens Jahal Bezir, einen Mann, der so schlau war wie der Leibhaftige und im Zweiten Weltkrieg auf dem Schwarzen Markt absahnte.
    Bezir war tief beeindruckt von Muzi, zumal er ihn nie beim Stehlen erwischte. Von 1947 an führte Muzi ihm die Bücher, und mit der Zeit verließ sich der alte Mann immer mehr auf ihn.
    Der alte Türke hatte einen klaren, wachen Verstand, verfiel aber zunehmend in die Sprache seiner Kindheit. Er diktierte seine Korrespondenz auf türkisch und überließ es Muzi, die Briefe zu übersetzen. Bezir gab mit großem Getue vor, die Übersetzungen zu kontrollieren, aber wenn es mehrere Briefe waren, wußte er manchmal offensichtlich gar nicht, welchen er gerade in der Hand hielt. Das gab Muzi zu denken. Der alte Mann

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