Schwarzer Sonntag
hatte noch gute Augen. Er war alles andere als senil. Er sprach fließend Englisch. Auf raffinierte Weise fand Muzi heraus, daß Bezir nicht mehr lesen konnte. Bei einem Besuch der öffentlichen Bibliothek lernte Muzi eine Menge über sensorische Aphasie. Der alte Mann litt zweifellos an einer besonderen Art dieser Krankheit. Muzi dachte lange darüber nach. Er begann in bescheidenem Umfang Devisenspekulationen zu machen, bei denen er ohne Wissen oder Zustimmung des Türken dessen Bankguthaben benutzte. Die Wechselkursschwankungen der Nachkriegszeit kamen Muzi dabei zugute. Nur einmal verbrachte er drei Tage in Angst und Schrecken. Ein paar Spekulanten legten ihn mit wertlosem Besatzungsgeld herein, und Muzi saß mit 10000 Zertifikaten zum Nennwert von 1 Pfund Sterling da, die er zu 27 Cents das Stück übernommen hatte. Und oben schnarchte friedlich der Türke. Die Sache kostete ihn 3000 Dollar aus der eigenen Tasche, aber zu der Zeit konnte er einen solchen Verlust bereits verschmerzen.
Zu Bezirs Entzücken hatte er den Einfall, hohle Vertäutrossen anfertigen zu lassen und für den Schmuggel von Haschisch zu benutzen. Als der Türke starb, erschienen entfernte Verwandte, übernahmen die Firma und ruinierten sie prompt. Aber Muzi hatte sein Schäfchen ins trockene gebracht. Er besaß 65000 Dollar, die er seinen Devisenspekulationen verdankte, und verfügte über ausgezeichnete Beziehungen zu Schmugglerkreisen. Mehr brauchte er nicht, um mit allem und jedem zu handeln, was Dollars einbrachte. Nur von harten Drogen ließ er die Finger. Die astronomischen Gewinne, die sich mit Heroin erzielen ließen, waren eine Verlockung, aber Muzi ließ sich vom schnellen Profit nicht blenden. Er wollte nicht für den Rest seines Lebens gebrandmarkt sein. Er wollte seine Nächte nicht in einem Safe verbringen müssen. Er wollte die Risiken nicht, und ihm gefielen auch die Leute nicht, die mit Heroin handelten. Bei Haschisch war das etwas anderes.
1972 war die Jihaz al-Rasd-Abteilung der El-Fatah kräftig am internationalen Haschischhandel beteiligt. Viele der HalbkiloBeutel, die Muzi im Libanon kaufte, trugen ihr Warenzeichen eine Fedajin-Hand, die eine Maschinenpistole hielt. Seine Haschisch-Beziehungen hatten es ihm ermöglicht, den Brief des Amerikaners zu befördern, und auf diese Weise war er auch an das Schmugglergeschäft mit dem Plastiksprengstoff gekommen.
Seit einigen Monaten war Muzi dabei, sich aus dem Haschischhandel zurückzuziehen und auch seine anderen Brükken zum Nahen Osten systematisch abzubrechen. Er wollte das nach und nach tun, um niemanden vor den Kopf zu stoßen. Er wollte sich keine Feinde machen, die den friedlichen Ruhestand, die endlose Folge von Galadiners auf seiner Terrasse über dem Golf von Neapel, stören konnten. Jetzt gefährdete diese dumme Sache mit der Leticia alles. Vielleicht hatten die Guerillas Verdacht geschöpft, weil er sich aus dem Nahostgeschäft zurückzog. Auch Larmoso mußte von seinen Absichten Wind bekommen haben. Wahrscheinlich hatte er sich eine Chance ausgerechnet, das Geschäft selbst zu machen. Was immer Larmoso getan hatte, er hatte die Araber verschreckt.
Muzi wußte, daß ihm in Italien nicht mehr viel passieren konnte. Er mußte nur noch diese etwas heikle Sache hier in New York hinter sich bringen, dann war alles überstanden. Abwartend lag er auf seinem Motelbett und träumte mit knurrendem Magen von einem fürstlichen Mahl im Lutece.
Kabakov saß fröstelnd auf einem zusammengerollten Gartenschlauch. Ein kalter Wind pfiff durch den Bretterverschlag auf dem Dach des Lagerhauses. Die Bretter waren mit Reif bedeckt. Aber der Verschlag bot Schutz und gute Sicht auf Muzis Haus auf der anderen Straßenseite. Der schläfrige Mann, der aus dem Seitenfenster des Verschlags blickte, wickelte eine Tafel Schokolade aus und knabberte daran. Man hörte das leise Knacken der abbrechenden Schokolade. Er war auf Kabakovs Anruf hin mit zwei anderen Männern der taktischen Einsatzgruppe in einem gemieteten Lieferwagen von Washington heraufgekommen.
Statt zu fliegen hatten sie die anstrengende fünfstündige Fahrt über die Schnellstraße auf sich genommen, da ihr Gepäck bei der Flughafenkontrolle mit Sicherheit einiges Aufsehen erregt hätte - Maschinenpistolen, Gewehre mit Zielfernrohr, Handgranaten. Ein Mann aus der Einsatzgruppe lag jetzt auf dem Dach eines Hauses auf der anderen Straßenseite, einen Häuserblock weiter unten. Der dritte wartete zusammen mit Moschevsky in
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