Schwarzer Sonntag
prügeln?«
»Es wird schon alles wieder gut.« Der Polizist rührte sich nicht.
»Hören Sie, die Frau hier braucht ein bißchen frische Luft. Könnten Sie draußen ein paar Minuten mit ihr auf und ab gehen?«
Ein Funksprechgerät knackte am anderen Ende der Halle. Jede Sekunde konnte der Alarm kommen. Polizistenmord. »Ich muß die Tür bewachen. Hier darf jetzt niemand raus.« »Kann ich sie nicht einen Augenblick herumführen? Ich fürchte, drinnen fällt sie in Ohnmacht.«
Der Polizist rieb sich den Nacken. Er hatte ein breites, von Narben entstelltes Gesicht. Die Frau schwankte gegen Dahlia. »Hm. Wie heißen Sie?«
»Dr. Vizzini.«
»In Ordnung.« Er drückte mit der Schulter die Tür auf. Kalte Luft wehte ihnen ins Gesicht. Draußen sah man überall das kreisende rote Licht der Streifenwagen.
Nicht rennen, dachte Dahlia. Hier sind überall Polizisten.
»Tief einatmen«, sagte Dahlia zu der Puertorikanerin. Die Frau warf den Kopf zurück.
Ein Taxi hielt an. Ein Assistenzarzt stieg aus. Dahlia gab dem Fahrer ein Zeichen und hielt den Assistenzarzt an. »Gehen Sie rein?«
»Ja.«
»Würden Sie die Frau hier bitte mit hineinnehmen? Vielen Dank.«
Ein paar Straßen weiter auf dem Gowanus Parkway lehnte sie sich im Taxi zurück und schloß die Augen.
John Sullivan war noch nicht tot, aber er war dem Tod nahe. Sein Kollege kniete im Fahrstuhl, hielt das Ohr an Sullivans Brust und hörte ein schwaches, unregelmäßiges Pochen. Er legte Sullivan flach auf den Boden des Fahrstuhls. Die Tür wollte sich schließen, aber der Polizist blockierte sie mit seinem Stiefel.
Emma Ryan war nicht umsonst Oberschwester. Ihre Hand mit den Leberflecken schlug den Stopschalter des Fahrstuhls herunter, und sie bellte nach dem Wiederbelebungsteam. Dann kniete sie auch schon über Sullivan, sah ihn prüfend aus ihren grauen Augen an. Ihr runder Rücken hob und senkte sich in regelmäßigem Rhythmus, während sie ihm eine Herzmassage gab. Der andere Polizist hatte sich über Sullivans Kopf gebeugt und versuchte ihn durch Mund-zu-Mund-Beatmung wiederzubeleben. Die Hilfsschwester löste ihn ab, damit er per Funk Alarm geben konnte, aber kostbare Sekunden waren bereits verloren.
Eine Krankenschwester kam mit einer Rollbahre. Sie hoben den schweren Polizisten darauf. Emma Ryan zog die Injektionsspritze aus Sullivans Nacken und gab sie einer Schwester. Die Nadel hatte die Haut durchstochen und zwei kleine rote Löcher hinterlassen, wie ein Schlangenbiß. Ein Teil der giftigen Lösung war an die Fahrstuhlwand gespritzt, nachdem die Nadel wieder ausgetreten war. Die Flüssigkeit war hinuntergelaufen und bildete eine winzige Lache auf dem Boden.
»Holen Sie sofort Dr. Field und geben Sie ihm die Spritze«, sagte Emma Ryan zu der Krankenschwester. Dann wandte sie sich an eine andere Schwester: »Nehmen Sie schon die Blutprobe ab, während wir ihn zur Intensivstation fahren. Schnell.«
Wenige Minuten später war Sullivan an die Herz-LungenMaschine angeschlossen. Dr. Field stand neben ihm. Versehen mit den Ergebnissen des Bluttests und der Urinanalyse, vor sich ein Tablett mit Gegenmitteln, bemühte er sich schweigend um den Patienten. Er würde leben. Sie würden ihn am Leben erhalten.
13
E S IST WENIGER GEFÄHRLICH , eine Anakonda mit einer brennenden Zigarette zu reizen, als einen New Yorker Polizisten umzubringen. New Yorks beste Männer sind schrecklich in ihrem Zorn. Sie jagen einen Polizistenmörder ohne Erbarmen. Sie vergessen niemals, sie vergeben niemals. Ein Mord an Kabakov
- und das daraus resultierende diplomatische Hickhack sowie der Druck seitens des Justizministeriums - hätte vielleicht zu einer Pressekonferenz des Bürgermeisters und des Polizeipräsidenten und zu einem Rund-um-die-Uhr-Einsatz von zwanzig bis dreißig Kriminalbeamten geführt. Aber der Nadel in Sullivans Nacken wegen brannten über 30000 Polizisten in den fünf Bezirken der Stadt darauf, sich an der Suche nach dem Mörder zu beteiligen.
Trotz Rachels Einwänden verließ Kabakov am nächsten Tag gegen Mittag sein Krankenbett im Gästezimmer ihrer Wohnung und besuchte Sullivan. Seine Wut war einer stumpfen Verzweiflung gewichen. Sullivan war schon wieder so weit bei Kräften, daß er ein Indentikit zusammensetzen konnte. Er hatte die Frau bei guter Beleuchtung gesehen, und nicht nur von vorn, sondern auch im Profil. Mit Hilfe des Identikits und eines Polizeizeichners setzten Kabakov, Sullivan und der Wachmann des Krankenhauses gemeinsam ein Phantombild
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