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Schwarzer Sonntag

Schwarzer Sonntag

Titel: Schwarzer Sonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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Einzelheiten fragen wollen und hatte so nur eine unvollständige Diagnose stellen können. Jetzt verfolgte sie mit ihren genauen Fragen einen doppelten Zweck. Sie brauchte die Informationen, wenn sie ihm helfen sollte, aber sie wollte auch seine emotionellen Reaktionen testen. Sie achtete darauf, ob er auf Fragen mit der Gereiztheit reagierte, die für den Korsakoffschen Symptomenkomplex, den hochgradigen Verlust der Merkfähigkeit, typisch sind. Diesen Verlust, der oft nach Gehirnerschütterungen auftritt, versucht der Kranke durch Konfabulieren abzugleichen.
    Befriedigt über seine Geduld und erfreut über seine Klarheit, begann sie sich mehr auf den Informationsgehalt seiner Antworten zu konzentrieren. Als er seinen Bericht beendete, war er mehr als nur ein Patient, und sie war nun so etwas wie sein Komplize. Kabakov schloß mit den Fragen, die ihn quälten: Wer war der Amerikaner? Wo würden die Terroristen zuschlagen? Danach saß er schweigend da und schämte sich irgendwie, so als hätte sie ihn weinen gesehen.
    »Wie alt war Muzi?« fragte sie ruhig.
» Sechsundfünfzig.«
»Und seine letzten Worte waren: ›Zuerst kam der Amerikaner‹?«
    »Ja, genau das hat er gesagt.« Kabakov sah nicht, worauf sie hinaus wollte. Er hatte jetzt keine Lust mehr, weiter darüber zu sprechen.
    »Soll ich dir mal etwas sagen?«
Er nickte.
»Ich glaube, dein Amerikaner ist mit einiger Wahrscheinlichkeit ein Weißer, kein Semite und über fünfundzwanzig.«
    »Wie willst du das wissen?«
»Ich weiß es nicht, ich vermute es nur. Muzi war ein Mann, der seine besten Jahre hinter sich hatte. Für viele Männer seines Alters ist eine Person, wie ich soeben beschrieben habe, der typische Amerikaner. Wenn der Amerikaner, den er sah, schwarz gewesen wäre, hätte er es höchstwahrscheinlich irgendwie erwähnt. Er hätte ein Wort benutzt, das auf die rassische Zugehörigkeit hindeutet. Habt ihr die ganze Zeit Englisch gesprochen?«
»Ja.«
»Ein Mann in Muzis Alter und ein Ausländer wie Muzi würde nie ›der Amerikaner‹ sagen, wenn es sich um einen Amerikaner arabischer Herkunft oder um einen amerikanischen Juden handelt. Mit dem Wort Amerikaner kann man zwar auch Juden, Schwarze oder Lateinamerikaner bezeichnen, aber dann fügt man fast immer irgendein Beiwort hinzu. Ohne ein solches Adjektiv wird es praktisch nur für Weiße gebraucht, die keiner Minderheit angehören. Wahrscheinlich klingt das alles ziemlich pedantisch, aber es stimmt.«
Als Kabakov sich am Telefon mit Corley beriet, berichtete er dem FBI-Mann, was Rachel gesagt hatte.
»Dann haben wir nur noch vierzig Millionen Verdächtige«, sagte Corley. »Nein, Entschuldigung, auch der kleinste Hinweis hilft.«
Corleys Bericht über die Suche nach dem Boot war nicht sehr ermutigend. Zollfahnder und Beamte der New Yorker Polizei hatten bei allen Bootswerften auf City Island gefragt. Polizisten der Distrikte Nassau und Suffolk hatten jeden Bootshafen auf Long Island durchsucht. Die Landespolizei New Jersey hatte die Besitzer aller Bootswerften an der Küste von New Jersey vernommen. FBI-Agenten waren zu den besten Bootswerften - zu berühmten Bootsbauern wie Rybovich, Trumpy und Huckins - und zu den weniger bekannten Werften gefahren, wo man noch gute Holzboote baute. Auf keiner der Werften wußte man etwas von dem entkommenen Boot.
»Boote, Boote, Boote«, ging es Rachel durch den Kopf.
Kabakov starrte durchs Fenster auf den Schnee, während Rachel das Abendessen zubereitete. Er versuchte sich an etwas zu erinnern, versuchte sich auf Umwegen daran heranzutasten, so wie er sich im Dunkeln am Horizont orientierte. Die Art und Weise, wie man Muzi beseitigt hatte, ließ Kabakov keine Ruhe. Wo war diese Technik schon einmal angewendet worden? In den letzten fünf oder sechs Jahren waren Tausende von Berichten über seinen Schreibtisch gegangen, und in einem davon war eine Bombe in einem Kühlschrank erwähnt worden. Er erinnerte sich, daß der Bericht in einem altmodischen gelben Umschlag gesteckt hatte. Das bedeutete, daß er ihn vor 1972 gesehen hatte, denn von da an hatte der israelische Geheimdienst andere Hefter verwandt, um die Herstellung von Mikrofilmen zu erleichtern. Noch eine blitzartige Erinnerung. Ein Memorandum über Minenfallen, das die Kommandotrupps vor Jahren auf seine Anweisung bekommen hatten. In dem Memorandum waren Quecksilberschaltungen erklärt worden, die damals bei den Fedajin in Mode waren, und es hatte einen Nachtrag über elektrische Geräte

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