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Schwarzer Sonntag

Schwarzer Sonntag

Titel: Schwarzer Sonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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Accessoires ihrer Tochter gegen das Älterwerden kämpft. Dann wurde es ihr gleichgültig, was sie anzog, und sie gab sich mit dezenten Kleidern und unauffälligen Straßenkostümen zufrieden, die man überall tragen konnte. Sie arbeitete immer länger in der Praxis, und ihre Wohnung wurde immer ordentlicher und steriler. Sie bezahlte viel Geld für eine Putzfrau, die alles immer wieder an den Platz legte, wo es hingehörte.
    Und nun war Kabakov da, der, ein Stück Salami in den Fingern, in ihren Bücherregalen stöberte. Und der mit Vorliebe Dinge in die Hand nahm, ohne sie wieder dahin zu legen, wo er sie gefunden hatte. Er lief barfuß herum und ließ seine Pyjamajacke offen. Manchmal vermied sie es, ihn anzusehen.
    Rachel machte sich seiner Gehirnerschütterung wegen kaum noch Sorgen. Und er selbst hatte sie offenbar schon vergessen. Als seine Schwindelanfälle seltener wurden und schließlich ganz aufhörten, änderte sich ihr Verhältnis zueinander. Die unpersönliche Arzt-Patient-Beziehung, um die sie sich bemüht hatte, ließ sich nicht länger aufrechterhalten.
    Kabakov fand Rachels Gesellschaft anregend. Er genoß es, mit jemandem zusammen zu sein, der ihn zum Nachdenken zwang. Er überraschte sich dabei, daß er Dinge sagte, die er noch nie bewußt gedacht oder gar ausgesprochen hatte. Ihr Anblick bereitete ihm Vergnügen. Sie hatte lange Beine und sah überhaupt gut aus, trotz ihrer etwas eckigen Bewegungen. Kabakov hatte beschlossen, ihr von seinem Auftrag zu erzählen, aber gerade weil er sie mochte, fiel es ihm schwer. Er hatte jahrelang seine Zunge im Zaum gehalten. Er wußte, wie schnell er auf Frauen reagierte und daß die Einsamkeit seines Berufs ihn leicht in Versuchung führte, über sich und seine Probleme zu sprechen.
    Rachel hatte ihm in der Not sofort und ohne Fragen zu stellen geholfen. Sie war jetzt in die Sache hineingezogen und schwebte möglicherweise in Gefahr - Kabakov wußte genau, weshalb die Araberin in das Röntgenlabor eingedrungen war. Trotzdem war es nicht sein Gerechtigkeitssinn, der ihn veranlaßte, ihr alles zu erzählen, nicht das Gefühl, daß sie ein Recht darauf hatte, es zu wissen. Seine Überlegungen waren mehr praktischer Natur. Sie besaß einen klaren Verstand, und den brauchte er. Einer der Verschwörer war wahrscheinlich Abu Ali
- ein Psychologe. Und Rachel verstand etwas von Psychiatrie. Einer der Terroristen war eine Frau. Und Rachel war eine Frau. Da sie die Nuancen des menschlichen Verhaltens kannte und zugleich ein Produkt der amerikanischen Zivilisation war, hatte sie vielleicht nützliche Einsichten. Kabakov glaubte, daß er sich in einen Araber versetzen konnte - konnte er aber auch wie ein Amerikaner denken? Gab es überhaupt eine bestimmte amerikanische Art zu denken? In seinen Augen war jeder Amerikaner anders. Er dachte, wenn die Amerikaner erst einmal länger in ihrem Land waren, würden sie vielleicht noch eine spezifische amerikanische Denkweise entwickeln.
    Er saß in der Sonne am Fenster und erklärte ihr die Situation, während sie die Brandwunden an seinem Bein verband. Er begann damit, daß es irgendwo im Nordosten der Vereinigten Staaten eine geheime Zelle des »Schwarzen September« gab, die Vorbereitungen getroffen hatte, irgendwo eine große Menge Plastiksprengstoff, wahrscheinlich eine halbe Tonne oder noch mehr, explodieren zu lassen. Er erklärte ihr, warum es aus israelischer Sicht unbedingt notwendig war, die Terroristen daran zu hindern, und fügte hastig die menschlichen Gesichtspunkte hinzu. Sie machte den Verband fertig und saß dann mit gekreuzten Beinen aufmerksam zuhörend auf dem Teppich. Ab und zu blickte sie zu ihm auf, um eine Frage zu stellen. Die übrige Zeit sah er nur ihren gebeugten Kopf, den Scheitel ihres Haars. Er war gespannt, wie sie es aufnehmen würde. Er wußte nicht, was sie dachte, jetzt, da der tödliche Kampf, dessen Zeuge sie im Nahen Osten gewesen war, auch sie unmittelbar bedrohte.
    Sie war vor allem erleichtert, was Kabakov selbst betraf. Sie wollte immer Einzelheiten wissen. Wollte genau wissen, was er getan und gesagt hatte - besonders unmittelbar vor der Explosion in Muzis Wohnung. Und sie war froh, daß seine Antworten schnell und präzise kamen. Als man ihn im Krankenhaus nach seinen letzten Erinnerungen fragte, hatte er dem Arzt nur vage Antworten gegeben, und Rachel war sich nicht sicher, ob das ein bewußtes Ausweichen oder die Folge eines Gehirntraumas war. Sie hatte ihn bisher nicht nach

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