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Schwarzer Sonntag

Schwarzer Sonntag

Titel: Schwarzer Sonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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da ist. Ich muß den Eingang allein lassen, um es festzustellen. Was passiert, wenn jemand vor der Pforte steht und darauf wartet, daß ich ihn einlasse? Dann würde man mir Vorwürfe machen, weil ich nicht an der Tür gewesen bin. Sie melden sich in Zukunft bei mir, wenn Sie hier runterkommen, verstanden?«
    »Klar, natürlich. Tut mir leid.«
    »Vergessen Sie nicht, das Licht auszumachen und wieder abzuschließen, ja?«
»Natürlich.«
Er nickte und schritt langsam den Flur hinunter.
    In Zimmer 327 war es dunkel und still. Nur die Straßenbeleuchtung schimmerte durch die Jalousien und warf dünne Lichtstreifen an die Decke. Augen, die sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnten das Bett mit dem Aluminiumgestell ausmachen, an dem die Decke über dem Patienten hing. In dem Bett schlief Dotty Hirschburg, den Daumen im Mund, den tiefen Schlaf der Kindheit. Den ganzen Nachmittag hatte sie vom Fenster ihres neuen Zimmers zum Schulhof hinübergeblickt. Sie hatte sich inzwischen an das Kommen und Gehen der Nachtschwestern gewöhnt und bewegte sich nicht, als die Tür vorsichtig geöffnet wurde. An der Wand gegenüber erschien eine Lichtsäule, wurde breiter, ein Schatten huschte hindurch, und dann wurde der Lichtstreifen wieder schmaler und verschwand schließlich ganz, als die Tür geschlossen wurde.
    Dahlia Iyad stand mit dem Rücken zur Tür und wartete darauf, daß ihre Pupillen sich weiteten. Das aus dem Flur hereinfallende Licht hatte ihr gezeigt, daß sich nur der Patient im Raum befand. Dahlia öffnete den Mund weit, damit ihre Atemzüge leiser wurden. Sie konnte in der Dunkelheit andere Atemzüge hören. Draußen im Flur vernahm sie die Schritte einer Krankenschwester. Sie hielten inne, und dann betrat die Schwester das Zimmer gegenüber.
    Dahlia näherte sich leise dem Fußende des Bettes. Sie stellte ihr Tablett auf dem Rolltisch ab und holte die Spritze aus der Tasche. Sie entfernte die Hülle von der langen Nadel und drückte den Kolben so weit hinunter, bis sie an der Spitze der Nadel einen winzigen Tropfen Flüssigkeit spürte.
    Irgendwohin. Am besten die Halsschlagader. Nur schnell. Sie ging im Dunkeln zum Kopfende und tastete vorsichtig nach dem Hals, berührte Haare und dann die Haut. Fühlte sich merkwürdig weich an. Wo war der Puls? Da. Zu zart. Sie legte Daumen und Zeigefinger vorsichtig um den Hals. Zu klein. Merkwürdig. Sie steckte die Spritze wieder in die Tasche und knipste ihre Kugelschreiberlampe an.
    »Hallo«, sagte Dotty Hirschburg blinzelnd. Dahlias kühle Finger ruhten an ihrem Hals.
»Hallo«, sagte Dahlia.
»Das Licht tut mir weh. Kriege ich eine Spritze?« Ängstlich blickte sie in Dahlias von unten her beleuchtetes Gesicht. Die Hand glitt langsam zu ihrer Wange hinauf.
»Nein. Nein, du kriegst keine Spritze. Ist alles in Ordnung? Möchtest du irgend etwas?«
»Siehst du bei allen nach, ob sie schlafen?«
»Ja.«
»Warum weckst du sie dann auf?«
»Damit ich weiß, ob alles in Ordnung ist. Du mußt jetzt wieder schlafen.«
»Das finde ich komisch. Daß Sie die Leute aufwecken, um zu sehen, ob sie schlafen.«
»Wann bist du denn in dieses Zimmer gekommen?«
»Heute. Vorher war Mr. Kabakov hier. Meine Mutter hat gefragt, ob ich es haben kann, weil ich von hier aus den Schulhof sehen kann.«
»Wo ist Mr. Kabakov?«
»Er ist weg.«
»War er sehr krank, haben sie ihn mit einem Tuch bedeckt, als sie ihn wegbrachten?«
»Sie meinen, ob er tot ist? Quatsch. Sie haben nur eine Stelle an seinem Kopf rasiert. Wir haben gestern zusammen den Kindern auf dem Schulhof zugesehen. Die Ärztin hat ihn weggebracht. Vielleicht ist er nach Hause gekommen.«
Dahlia zögerte im Flur. Sie wußte, daß sie es jetzt nicht auf die Spitze treiben durfte. Am besten verließ sie das Krankenhaus sofort. Sie mußte sich eben damit abfinden, daß sie es nicht geschafft hatte. Aber sie überlegte es sich anders. An der Kühlbox vor der Schwesternstation verbrachte sie einige Minuten damit, einen Krug mit Eiswürfeln zu füllen. Die Oberschwester, ganz Stärke und Brille und eisengraues Haar, unterhielt sich mit einer Hilfsschwester. Es war eine jener nichtssagenden Unterhaltungen, die ohne Anfang und Ende durch die Nacht tröpfeln. Dann wurde die Oberschwester von einer Etagenschwester angerufen und stand auf und marschierte den Flur hinunter, um etwas zu erledigen.
Dahlia war blitzschnell an ihrem Schreibtisch und blätterte die alphabetische Kartei durch. Kein Kabakov. Kein Kabov. Die Hilfsschwester beobachtete

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