Schwarzer Tanz
das wütende, wabblige Gesicht ihrer Mutter: » Du musst dich zusammenreißen. Du wirst noch in der Gosse landen. Du wirst zur Schule gehen, hörst du mich? Du wirst mir nicht noch einmal eine solche Schande machen, du verdammtes kleines Biest.«
» Aber wir werden uns etwas ausdenken müssen«, sagte Rachaela. » Du wirst ab und zu gehen müssen. Wenn du einen freien Tag haben willst, dann sagst du es mir einfach, und ich schreibe dir eine Benachrichtigung für die Schule.«
Ruth überdachte den Vorschlag. Man war in ihre Privatsphäre eingedrungen, doch sie schien die Unabänderlichkeit des Ganzen zu akzeptieren.
» Wirst du das tun?«
» Ja.«
» In Ordnung. Danke«, sagte sie.
Rachaela betrachtete ihr ältliches Elfenkind. War Ruth wie sie?
» Werden Spaghetti auf Toast fürs Abendessen reichen?«
» Mit Käse?«
» Mit Käse.«
Rachaela erhob sich und ging in die Küche, um die verschiedenen Dosen auf der Arbeitsfläche auszubreiten. Ruth folgte ihr und blieb im Türrahmen stehen.
» Was würde mein Dad dazu sagen, dass ich nicht in die Schule gehe?«
Rachaela dachte nach. » Ich glaube, er würde sich einen Dreck darum scheren.«
» Werde ich ihn jemals zu Gesicht bekommen?«
» Nein.«
» Warum nicht?«
» Er wäre nicht interessiert, Ruth. Tut mir leid.«
» Woher weißt du das?«
» Weil ich ihn kenne. Er hat sich auch für mich nicht interessiert.«
» Aber der Großvater und die Omi«, sagte Ruth.
Dein Großvater ist auch dein Vater.
» Es gibt weder einen Großvater noch eine Omi. Sie sind einfach nur eine große, formlose Familie, lauter alte Leute. Sie würden dir nicht gefallen.« Wie konnte sie das so sicher wissen?
Ruth war ihr Ebenbild. Ruth hatte getan, was sie ebenfalls tun würden.
Sie durfte sich Ruth nicht in dem Haus vorstellen. Das Haus, das mit den Jahren zu einem Gespenst verblasst war und doch immer noch dort verharrte, ein Nebelschwaden am Rande ihres Verstandes. Die Spiegel, die Fenster.
Ruth sagte: » Ich würde sie vielleicht mögen. Alte Leute machen mir nichts aus.«
» Sie sind sehr weit weg.«
» Könnte ich nicht hingehen?«
» Nein, Ruth.«
» Ich will aber.«
Wie waren sie auf dieses Thema gekommen? Rachaela legte den Dosenöffner weg und schüttete die Spaghetti in einen Topf.
» Nein, Ruth.«
» Ich träume von ihnen«, sagte Ruth.
Rachaela verhielt in der Bewegung.
» Was meinst du damit?«
» Ich träume von ihnen in einem großen Haus. Und ich laufe einen Korridor entlang durch eine Tür, und da sind sie.«
Offensichtlich hatte Rachaela während der ganzen Jahre immer mal wieder etwas über die Scarabae fallenlassen. So musste es sein. Das Kind hatte seine Träumereien, genau wie jedes andere Kind.
» Ich will nicht darüber reden, Ruth. Ich will nicht, dass du in ihre Nähe kommst, und damit basta.«
Bleib weg von den Scarabae.
Wieder sah Rachaela das aufgeschwemmte Gesicht ihrer Mutter vor sich.
» Warum darf ich nicht? Warum nicht?«
» Weil sie irrsinnig sind. Es sind verrückte Menschen. Und sie sind eine Art Vampire. Oder jedenfalls denken sie das.«
Sag nichts mehr.
» Vampire«, wiederholte Ruth. » Wie Dracula?«
» Nicht wie Dracula. Sie sind böse Menschen.« Sie rührte in dem Topf und erwartete eine weitere Attacke, die nicht kam. Als sie sich umdrehte, war Ruth wieder hinter ihrer Wand verschwunden.
Das hätte ich nicht sagen sollen. Zu spät.
Sie hatte eine Vision von Adamus, der im Schwarz des Mondes die Häuserwand hinaufstieg, sein blasses Gesicht dem Himmel zugewandt, ein Blutrinnsal rann ihm aus dem Mundwinkel. Sexuelles Verlangen schoss plötzlich ohne Vorwarnung in ihre Mitte, verblüffte sie. Nach so langer Zeit, nach so vielen Ereignissen, war das primitiv und dumm – nach Ruth.
Sie legte das Brot in den Toaster, und ihre Hände zitterten. Von jenseits einer Dekade aus Spinnweben und gefärbtem Glas fühlte sie, wie sich alte, knittrige Hände nach ihr ausstreckten und sie streiften.
Der Laden war kahl, die Bücher waren in Kisten verpackt oder bereits verschickt.
Denise weinte leise vor sich hin.
» Na na«, sagte Jonquil. » Komm trink noch etwas Wein.«
Sie hockten auf den wackligen Stühlen und tranken, als draußen vor der Tür die Nichtkunden, nun für immer ausgeschlossen, auf dem nassen, dunklen Bürgersteig vorbeihasteten.
» Erinnert ihr euch noch an die alte Frau, die immer hereinkam und Roald Dahl verlangte, nachdem sie behauptet hatte, er wäre eine Frau?«, schluchzte Denise.
» Und
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