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Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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hinunterschauen, sehen, wer ihr nachgegangen war. Da war er. Etwa vierhundert Meter entfernt stand ein Mann. Zögernd, als versuchte er gerade, die Straßennummern an den Häuserfronten zu entziffern, die jedoch bei dieser Beleuchtung ganz klar zu erkennen waren.
    Ihr Herz blieb stehen.
    Ein kleiner Mann mit dunklem Überzieher und Wollmütze. Es war beängstigend dumm. Die Leute zogen nicht immer wieder dieselbe Kleidung an, zumindest nicht elf oder zwölf Jahre lang. Die Menschen blieben nicht immer gleich. Sie war dieselbe geblieben. Der Spiegel hatte es ihr offenbart.
    Sie hatte sich nicht verändert.
    Sie dachte an den Grünstreifen vor den Wohnungen und die Gestalt, die plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war. » Sie müssen gehen, das wissen Sie.«
    » Gehen Sie weg«, hatte sie gesagt. Doch später war er zurückgekommen und hatte ihr den Brief überbracht, den Brief, den Adamus mit der Schreibmaschine getippt hatte, den Brief der Scarabae.
    Er war zu weit weg, als dass sie sicher sein konnte, das fremdartige, möglicherweise mit keiner Falte gealterte Gesicht, die eiskalten Augen … unsichtbar.
    Sie musste ihn aus der Nähe sehen. Und selbst dann … Würde sie ihrem Gedächtnis trauen können?
    Es war unmöglich, dass sie sie diesmal ausfindig gemacht hatten. Selbst wenn sie es die ganzen Jahre über versucht hätten. Sie weigerte sich, daran zu denken.
    Die Lichter der Ampel wechselten, die Autos ließen widerwillig ihre Bremsen aufkreischen.
    Rachaela überquerte die Straße.
    Sie blickte zurück und sah, dass der Mann aufgehört hatte, wie ein Tattergreis auf die Häuser zu starren. Er überquerte die Straße ein Stück weiter oben, gerade rechtzeitig, bevor die Autos sie wieder für sich beanspruchen konnten.
    Er kam näher, lief in dieselbe Richtung wie Rachaela; der wässrige Schnee glitzerte auf seiner Mütze wie Edelsteine. Rachaela ging die Beaumont Street entlang. Die grelle Vorderfront des Pizza Eater leuchtete vor ihr. Sollte sie auf einen Drink hineingehen? Nein, man würde dort nicht einfach einen Drink servieren, daran sollte sie sich erinnern. Wohin dann? Sie musste irgendwo anhalten, um zu sehen, was er tat. Es war Zufall. Er war irgendein Streuner, der sie an den Agenten der Scarabae erinnerte. Das war alles.
    Der Waschsalon war geöffnet, leuchtete totenbleich und leer. Rachaela drückte die Tür auf und trat ein.
    Sie setzte sich auf einen der Stühle und wartete, dass der Mann mit der Wollmütze vorbeikommen, sie sehen und anhalten würde.
    Eine Frau tauchte aus dem hinteren Teil des Waschsalons auf. » Brauchen Sie Hilfe?«
    » Ich warte auf eine Freundin.«
    Die Frau beäugte sie misstrauisch.
    » Sie waschen nicht?«
    » Nein.«
    » Nun, ich nehme an, Sie wissen, was Sie tun.«
    Sie fummelte mit einigen Kleidungsstücken herum, die sie aus einer offenen Waschmaschine zerrte, und ließ dabei Unterhosen und Socken zu Boden fallen.
    Der Mann erschien. Er ging ohne einen Blick auf sie an dem Fenster vorbei und lief in die Nacht hinein.
    Das Licht des Waschsalons hatte ihn beleuchtet wie eine Bogenlampe. Es war der Mann, den sie vor so vielen Jahren schon gesehen hatte. Sie war sich ganz sicher. Sicher.
    Rachaela stand auf.
    » Sie gehen jetzt?«, zwitscherte die Frau, und ließ noch eine Socke fallen.
    Rachaela trat hinaus in die glänzende Dunkelheit und das Gewirr aus schräg angestrahltem Regen, Straßenlaternen und Autoscheinwerfern.
    Wo war er? Er hatte sich in Luft aufgelöst.
    Sie hatte sich die Ähnlichkeit eingebildet. Er war nur ein Mann. Die Scarabae hatten sich in ihrem Verstand breitgemacht, wie sie das immer mal wieder taten, und sie hatte eine Erinnerung heraufbeschworen, die mit einem völlig Fremden übereinstimmte.
    Sie konnten sie nicht weiter gejagt haben. Sie hatten kein Interesse mehr an ihr.
    Aufmerksam schritt sie die Straße entlang.
    Menschenknäuel eilten durch den Schneeregen.
    Rachaela bog links ab und beschleunigte ihren Schritt. Sie entfernte sich aus dem Licht, hielt auf dem dunklen Bürgersteig inne und blickte sich um. Außer einer Frau mit Schirm und einem Radfahrer, der müde um die Kurve bog, war kein Mensch zu sehen. Hinter einem roten Fenster über ihr lagen irgendwelche ordinären Sinnesfreuden oder andere Widerwärtigkeiten verborgen. Sie begann ebenfalls heimwärts zu eilen.
    Als sie die Tür öffnete, war die Wohnung völlig dunkel, doch manchmal saß Ruth, wenn sie allein war, gerne in der Dunkelheit. Rachaela ging auf eines der Fenster zu.

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