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Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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morgens.
    Rachaela ging zu Anna ins Wohnzimmer.
    » Du hättest Ruth beruhigen sollen. Sie wird ihn doch morgen schon zu ihrer üblichen Klavierstunde wiedersehen.«
    Anna stickte gerade einen Pfau.
    » Das wird sie nicht, Rachaela. Er wird sie nicht mehr unterrichten. Jack hat das Klavier im Musikzimmer repariert und gestimmt. Ruth kann jetzt dort üben.«
    » Er hat sein neues Spielzeug also schon satt«, sagte Rachaela.
    Ein heißer Schmerz flammte in ihrer Körpermitte auf.
    » Er hat Berührungsängste«, wiederholte Anna die Worte, die sie schon früher gesprochen hatte. » Die letzten Wochen waren ziemlich anstrengend für ihn.«
    » Ihr habt ihn benutzt, um sie zu verführen«, sagte Rachaela. » Vielleicht nicht im wörtlichen Sinn, aber im Grunde genommen ist es alles das Gleiche.«
    » Ruth wird Geduld beweisen müssen.«
    » Drei Jahre lang? Ruth ist elf. Drei Jahre werden ihr sehr lang vorkommen.«
    » Ruth ist eine Scarabae.«
    » Das sagst du.«
    » Es ist eine Tatsache.«
    Rachaela wandte sich um und verließ den Raum. Der erste Faden hatte sich schon aus dem scharlachroten Netzwerk gelöst. Vielleicht würde man jetzt auch den Rest des brüchigen, alten Stoffes auftrennen können.
    Rachaela, die Zeugin, beobachtete Ruth, die Verlobte.
    Tagsüber war es jetzt sehr heiß, und das verschlossene Haus wurde zum Backofen, die brennenden Farben, die durch seine Fenster drangen, machten es zu einem bunten Vakuum. Die Scarabae vergruben sich in ihren gefärbten Räumen oder lagen in ihren Sesseln herum, erbarmungslos gejagt von ihrer größten Feindin, der Sonne. Ruth war oft auf der Heide, und manchmal unten am Meer, da sie irgendwann die Stufen zum Strand entdeckt hatte. Rachaela beobachtete sie beim Sammeln von Schätzen am Ufer, beim Paddeln in den Wellen, oder beim intensiven Malen unter dem Monolithen. Ein- oder zweimal war der riesige, schwarze Kater bei ihr und schlief zu ihren Füßen. Ruth brachte dem Kater eine vorhersehbare und einzigartige Leidenschaft entgegen. Einmal hatte sie ihm einen Kranz aus Gänseblümchen um den dicken Hals gewunden. Sie wirkte wie eine verlorene Mänade. Die Truppe der Bacchanten war weitergezogen und hatte sie einsam und allein zurückgelassen.
    Gelegentlich spielte Ruth abends auf dem Klavier im Musikzimmer.
    Ihr Spiel war zornig und angefüllt mit falschen Noten.
    An den meisten Abenden ließ sie die Scarabae im Wohnzimmer sitzen und zog sich in ihr Schlafzimmer zurück, wahrscheinlich um zu malen oder zu lesen. Hatte Anna ihr Bücher gegeben? Sie hatte all ihre eigenen zurückgelassen.
    Das Tempo, mit dem Ruths Leben verlief, hatte eine falsche Gangart. Sie war an eine bestimmte Routine gewohnt, die sie selbst durch das Schuleschwänzen manchmal unterbrochen hatte, doch jetzt gab es für sie keine Routine mehr, nur noch Müßiggang und keine Verantwortung, die es zu schwänzen galt oder der sie sich im umgekehrten Fall widmen konnte.
    Vielleicht hatte das Haus vorerst als Beschäftigung ausgereicht, doch da war Adamus in ihrem Besitz gewesen. Jetzt hatte man ihr Adamus genommen, und das Haus verblasste, solange er es nicht mit seinem Glanz erfüllte.
    Rachaela sah, wie es passierte, und sie sah, wie Ruth sich veränderte, wie sie immer stiller wurde. Sie hatte begonnen, sich zu langweilen.
    Eines Abends fragte sie Anna: » Kann ich in die Stadt gehen?«
    » Die Stadt? Oh, das ist ein sehr weiter Weg.«
    Eine vertraute Unterhaltung.
    Diesmal mischte sich Stephan ein. » Es gibt dort nichts zu sehen, in der Stadt.«
    » Geschäfte«, antwortete Ruth.
    » Im Dorf gibt es jetzt auch Geschäfte.«
    » Sie kann mit Cheta und Carlo gehen.«
    » Der Weg ist mir zu weit«, sagte Ruth. Sie war ein Kind der Busse und Straßen. Sie schien kein Verlangen nach der Wildheit der Heide zu haben, auf der es weder Grabsteine, Hamburgerbuden noch Woolworth’s gab.
    » Kann ich ins Kino gehen?«, fragte Ruth.
    » Du hast deine Zeichnungen und deine Musik«, erwiderte Anna. » Und Alice bringt dir gerade das Stricken bei.«
    Ruth schwieg. Sie starrte Anna lange Zeit nur an, doch Anna stickte gleichmütig weiter, und Stephan glotzte auf die leere Stelle im Kamin, an der im Winter das Feuer gebrannt hatte. Rachaela konnte Anna vorschlagen, dass sie gemeinsam ein Mietauto in die Stadt nehmen könnten, doch Anna würde ihr das bestimmt verweigern, weil sie fürchtete, sie könnte Ruth entführen. Irgendwann würde sie jedoch einen Plan ausarbeiten müssen, denn Ruth entfernte sich langsam

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