Schwarzer Tanz
stöhnte Rachaela.
Er zuckte die Achseln. Unbeabsichtigt nahmen sie beide gleichzeitig einen Schluck aus ihren Gläsern. Der Wein schmeckte vollmundig, ein tiefer metallischer Geschmack.
» Hier bist du also«, stellte er nach einer Weile fest.
» Ja. Ich dachte, ich sollte dir einen Gegenbesuch abstatten. Und Camillo hat mir den anderen Weg in den Turm gezeigt.«
» Normalerweise ist die Tür verriegelt.«
» Ein Versehen?«
» Ich wusste, dass du kommen würdest.«
» Wie?«
» Ich weiß es nicht.«
» Das glaube ich dir nicht.«
» Das ist dein Problem, Rachaela.«
» Warum sprichst du meinen Namen auf diese Art aus?«
» Mir gefällt dein Name. Es ist ein Familienname, den ich deiner Mutter vorgeschlagen hatte. Sie hat ihn natürlich nur mit Widerwillen akzeptiert. Sie dachte wahrscheinlich, ich würde zurückkommen, um sie zu einer ehrbaren Frau zu machen.«
» Ja, sie wäre lieber verheiratet gewesen. Aber ich denke, sie wäre schon mit ein wenig Unterstützung von dir zufrieden gewesen. Wenn du einfach nur da gewesen wärst.«
» Ich konnte nicht bleiben. Mich hat das alles nicht interessiert. Die Familie hatte mich dazu überredet. Ich habe zwei Jahre außerhalb dieses Gefängnisses verbracht und sie dafür gehasst. Ich habe dich gezeugt, und das war es dann. Ich musste auf die Erde zurück, hierher.«
» Und du hast dich überhaupt nicht für mich interessiert.«
» Nein. Als Kind hast du mir nichts bedeutet. Du warst nur etwas, das ich vollbracht hatte.«
Rachaela schluckte die Bitterkeit ihrer Mutter zusammen mit dem Wein hinunter ebenso wie die fünfundzwanzig Jahre mit dieser verschrobenen und gereizten Frau. Die Begegnungen mit schönen Dingen – klassische Musik, Bücher –, die ihre Mutter verabscheute, waren für sie eher zufällig gewesen. Allzu oft wurde das Radio auf einen Sender mit Popmusik gestellt oder ihr das Buch aus den Händen gerissen.
Wenn du eine Beschäftigung brauchst, kannst du die Spültücher auswaschen.
» Du hast mich alleingelassen«, sagte Rachaela, » in einer Wüste.«
Sie dachte an eine Kindheit, in der sie an der Hand eines großen, dunklen Mannes durch den Park spazierte, Schwäne auf dem Wasser, Brotkrümel für die Enten. Sie dachte an die Stimme eines Mannes, die ihr aus einem Buch vorlas. Ein Schatten, der Klavier spielte. Und heiße Tränen stiegen ihr in die Augen. Der Schmerz wollte ihr schier das Herz zerreißen. » Aber es hätte dich ja gelangweilt. Ein Kind.«
» Ich muss versuchen, dich jetzt zu finden«, erwiderte er.
» Du kommst zu spät. Jetzt will ich dich nicht mehr. Ich brauche dich nicht mehr. Du hast es verdorben. Ich werde dich nicht an mich heranlassen.«
» Aber du bist da.«
» Genau wie du. Ich bin neugierig. Ich wollte sehen, was mich vor neunundzwanzig Jahren verlassen hat, als ich noch blind und taub war.«
» Tu das nicht, Rachaela«, sagte er.
Sie konnte auch in seinem Gesicht den Schmerz lesen, seine Augen, die Augen eines jungen Mannes, und sein Mund verzogen sich.
» Es ist sowieso eine Lüge«, sagte sie. » Ich glaube immer noch nicht, dass du mein Vater bist.«
» Da siehst du es.«
Sie verfielen in Schweigen, und der Kater erhob sich zwischen ihnen, streckte seine Glieder, sein wunderbares Fell schimmerte in dem Schein der sterbenden Flammen.
» Ihn verlangt nach der Nacht«, sagte Adamus. » Ich muss ihn hinauslassen. Komm mit.« Der Kater folgte ihm aus dem Raum und die Treppe hinunter.
Sie blickte sich in dem ungleichmäßigen Raum um, durchsuchte die Dunkelheit hinter dem Lichtschein der Lampe und der Kerzen, wo die Dinge sich zauberhaft in der roten Glut des Feuers spiegelten; das grüne Umbra des Lampenschirms wie Augen oder Gedanken.
Der Wein hatte auf einmal einen salzigen Geschmack.
Es war dumm, dass sie sich so von ihren Gefühlen überwältigen ließ. Damit hatte sie nicht gerechnet, es war sicherlich ein Trick, dieses Gespräch mit einem angeblichen Vater.
Sie schätzte, es war möglich, wenn die Scarabae wirklich so lange lebten, wie sie vorgaben. Doch selbst das war wahrscheinlich eine Lüge, irgendein seniler Einfall, zwischen dem Wunsch zu belustigen oder zu erschrecken.
Hinter dem Fenster heulte die Dunkelheit. Das Gewitter war verstummt.
Sie hörte ihn nicht zurückkommen. Er erschien aus dem Nichts, außerhalb des Lichtkreises. Ein großer Schatten.
Er setzte sich nicht wieder zu ihr, durchquerte stattdessen den Raum und setzte sich ans Klavier.
Rachaela hielt den Atem an. Und
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