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Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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verräterischen Stufen wieder empor. Rachaela rutschte aus und sah die Klippe und das wirbelnde Meer. Danach beendete sie den Anstieg fast auf allen vieren, voller Angst. Camillo jedoch fürchtete den Tod nicht, wie der Blitz erklomm er die Stufen und rutschte kein einziges Mal aus.
    Sie betraten das Haus durch den Seiteneingang, durch den sie es auch verlassen hatten. Er führte durch einen Gang in das Morgenzimmer, wo Peter und Dorian ihr Frühstück einnahmen und jetzt nach dem Essen in ihren Stühlen vor dem Feuer ein Mittagsschläfchen hielten. Im Schlaf sahen sie tot aus. Camillo schenkte ihnen keinerlei Beachtung. Das Fenster des Morgenzimmers zeigte eine Königin, die in einem Weinberg grüne Trauben pflückte – Jezabel, Ahabs Gattin? Camillo führte sie nicht zum Speicher zurück.
    Er brachte sie bis zu dem Nebengebäude mit der Salome, und dort deutete er mit seinem dünnen Finger auf einen schmalen Treppengang.
    » Führt zu einem Korridor, der vor einer Tür endet. Öffne die Tür, und geh in Adamus’ Turm. Klopfe vorher.«
    » Er hat nicht angeklopft, als er bei mir spionierte.«
    » Dann klopfst du eben nicht.« Camillo hüpfte die Treppe hinauf.
    Rachaela zögerte und ging dann hinunter.
    Der Korridor war dunkel bis auf das Licht, das durch die Treppenflucht drang, ein pinkfarbenes, flüssiges Salomeleuchten. Sie kam an spinnwebumrankten, verschlossenen Türen vorbei, die sie nicht öffnen wollte. Der Korridor machte eine Biegung, und das Licht verschwand in deprimierender, unheimlicher Dunkelheit.
    Die letzte Tür erschien, wie in dem Traum, genau vor ihr. Rachaela erreichte sie. Sie lauschte.
    Das Klavier spielte noch ein Stück von Brahms, wie ihr schien; ein Klavierkonzert ohne Orchester.
    Sie war noch nicht bereit.
    Sie wandte sich um und eilte zurück ins Licht.
    Rachaela legte ihr zartblaues Kleid an und eine Brosche aus gedrehtem Silber, die sie eines Tages im Regen vor den Londoner Wohnungen gefunden hatte. Sie ging hinunter ins Wohnzimmer und wartete am Feuer des weißen Kamins auf Anna und Stephan, denn sie war es inzwischen gewohnt, mit ihnen zusammen das Abendessen einzunehmen. Doch sie kamen nicht.
    Michael erschien verspätet mit seinem Tablett voller Flaschen und Karaffen.
    » Wo ist Anna?«
    » Ich weiß nicht, Miss Rachaela.«
    Genauso unerwartet, wie sie bei dem lärmenden Mittagessen erschienen waren, blieben sie jetzt fern.
    Rachaela musste den Fischauflauf und die Stachelbeertorte allein verspeisen. Das Feuer krachte und flackerte, als heftiger Regen durch den Schacht des Kamins drang.
    Nach dem Essen fand sie den Weg zurück ins Morgenzimmer. Der Raum war verlassen, der Kamin schwarz. Eine Stunde saß sie vor dem Feuer im Esszimmer. Niemand kam, und sie verbrachte zehn weitere Minuten im Wohnzimmer, wo die goldene Uhr in Schweigen verharren musste, da sie keine Zeiger hatte.
    Offenbar war den ganzen Nachmittag lang niemand den Korridor vor ihrem Zimmer entlanggegangen.
    Michael, der ihr das Abendessen allein serviert hatte, war jetzt verschwunden.
    Das Haus jammerte und ächzte wie ein Baum im Regen und tosendem Wind. Bis auf sie schien es leer zu sein.
    Rachaela ging zurück in den ersten Stock. Im Badezimmer machte sie sich für die Nacht zurecht. In einem der Nachthemden setzte sie sich im Schlafzimmer vors Feuer. Draußen tobte der Wind, wie ein Sturm auf See. Sie hörte, wie der Ozean sich ins Landesinnere rollte.
    Rachaela nahm ein Buch zur Hand und versuchte zu lesen. Sie las denselben Absatz immer wieder. Die Uhr mit den Engeln verkündete, es wäre ein Uhr, es war Mitternacht.
    Rachaela ging zu Bett.
    Eine Stunde lang versuchte sie einzuschlafen.
    Hinter den Mauern und Fenstern wurde der Sturm heftiger. In den Winkeln des Hauses kreischte es, und das Glas der Fenster erschauerte unter den metallenen Splittern des Regens.
    Wenn das Gewitter einsetzte, würde sie überhaupt nicht schlafen können. Ein blasser Blitz, und das Bild von Eva und Luzifer mit dem chromgrünen Baum erwachte für einen Augenblick zum Leben. In solch einer Nacht …
    Rachaela stieg aus dem Bett. Sie entzündete die Lampe, kleidete sich an, puderte ihr Gesicht und umrahmte ihre Augen mit schwarzen Kajalstrichen. Ihre dunklen Wimpern warfen Schatten auf ihr blasses Gesicht, ihr Mund hatte im Schein der Lampe eine reife, rote Farbe. Es war der richtige Zeitpunkt.
    Wie zuvor nahm sie die Lampe mit hinaus, und wie zuvor lag der Flur in Dunkelheit, und die Obstschnitzereien tanzten und wogten in Licht

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