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Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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im Dunkeln begann er zu spielen. Die Musik schwebte in langen, klagenden Tönen über das Prasseln des Regens. Die düsteren, ernsten Klänge in Moll waren durchzogen von einer hellen, weißen Melodie in Dur. Sie kannte den Namen des Komponisten nicht, der sich so sorglos durch die Oktaven bewegte. Der Sturm der Musik überdeckte das Tosen des Windes. Rachaela schloss die Augen.
    Sie saß in ihrem Sessel, schwebte auf der Flut der Klänge, hielt ihr Glas voller Feuer lose in der einen Hand. Gegen ihren Willen fühlte sie, wie sie sich der Melodie ergab. Schließlich verebbte die Musik, löste sich in einzelnen, wiederholten Sequenzen auf. Endete.
    Ohne die Augen zu öffnen, bat sie: » Spiel noch etwas.«
    Er antwortete nicht. Doch nach einigen Minuten ertönten die schnellen Klänge einer Melodie von Chopin und erfüllten den Raum mit ihrem Leben.
    Was wäre aus ihr geworden, wenn sie so etwas schon in ihrer Kindheit erlebt hätte?
    Langsam rannten ihr die Tränen über die Wangen. Sie ließ es zu, ertrank in der Musik.
    » Du hast geschlafen.«
    Er stand vor dem Kamin. Das Feuer war erloschen. Die Lampe ließ die Flüssigkeit in seinem Glas karmesinrot schimmern, als er einen Schluck nahm.
    Die Länge seines zurückgekämmten Haares erstaunte sie.
    » Ich habe alles gehört.«
    » Ich weiß. Du bist eingeschlafen, als ich aufhörte zu spielen.«
    So beruhigend. Der Schmerz hatte sie in der Flut der Klänge verlassen. Ebenso wie der nichtssagende Zorn und die überschäumende Wut.
    » Du musst mich wiederkommen lassen«, sagte sie. » Ich will dich wieder spielen hören.«
    » Warum nicht?«
    Wie ein Kind strich sie ihr Haar aus dem Gesicht. Die Zeiger der Uhr schnellten von halb fünf auf drei, der Zwei entgegen. Es musste irgendwann in den frühen Morgenstunden sein. Sie wollte nicht gehen, ihr war kalt, und plötzlich fürchtete sie sich auch. Wie nahe war sie ihm gekommen. Und was war er eigentlich? Sie kannte ihn nicht, wusste nicht, was oder wer er war. Er konnte in der Dunkelheit sehen, wie der Kater.
    Er beugte sich vor, ergriff ihre Hand und half ihr auf die Füße. Seine Hand war etwas Neues für sie. Männlich und warm. Sie genoss die Berührung, und schon gehörte sie wieder der Vergangenheit an. Sie stand da, einsam, allein und erschöpft.
    » Welche Tür?«, fragte sie.
    » Welche auch immer die Dame bevorzugt.« Die Vorstellung, dass sie zu ihrem Zimmer zurücklaufen musste, verstärkte ihre Müdigkeit. Sie musste schnell sein und fortlaufen. Sie wusste nicht, was sie denken sollte.
    » Die hier ist gut genug.«
    Er begleitete sie durch den Raum, trug ihre Lampe für sie, die er ihr dann, als sie an der Treppe angekommen waren, höflich überreichte. Sie nahm die Lampe entgegen und stieg die Stufen hinunter, der überwältigenden Dunkelheit des Korridors entgegen.
    Die Tür schloss sich hinter ihr, sie lauschte nach dem kratzenden Geräusch eines Schlüssels, der im Schloss herumgedreht wurde, hörte jedoch nichts.
    Rachaela träumte von ihrer Mutter, die ein Sonntagsmahl kochte, was sie ungefähr alle sechs Monate getan und was jedes Mal einen ziemlichen Aufwand bedeutet hatte. Rachaela stand an der Spüle, schälte unzählige Kartoffeln und markierte jede davon, wie befohlen, mit einem Kreuz gegen den Satan. Ihre Hände schmerzten.
    Von der Küchentür her rief er sie mit verzerrter Traumstimme.
    » Nein«, befahl ihre Mutter. » Mach erst die Kartoffeln fertig.«
    Aber Rachaela ließ die Kartoffeln in der Schüssel.
    An der Tür wartete der Mann mit ausgestreckter Hand.
    » Das darfst du nicht«, sagte ihre Mutter. » Bleib ihm fern.«
    Doch Adamus hob sie in seine Arme, obwohl sie schon erwachsen war, und trug sie fort.
    Rachaela erwachte und hatte den Traum immer noch vor Augen.
    Die Turmuhr behauptete, es wäre fünf nach halb eins. Zehn, schätzte sie. Sie hatte verschlafen.
    Sie ließ sich Badewasser ein und fand ein wunderschönes Schmuckstück auf dem Teppich vor ihrer Tür; eine Kette aus kleinen Muscheln, zartbraun, rosa und elfenbeinfarben. Möglicherweise ein weiteres Geschenk von Camillo aus den Schatztruhen des Speichers.
    Sie stand da mit den Muscheln in der Hand und legte sie dann auf die Frisierkommode.
    Als sie aus dem Badezimmer zurückkam, von dem heißen Wasser mehr betäubt als belebt, kleidete sie sich an und bürstete mechanisch ihr Haar. Und die Muscheln lagen vor ihr.
    Einem Impuls folgend, nahm sie sie auf und hielt sie, eine nach der anderen, obwohl sie dafür eigentlich

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