Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schwarzer Tod

Titel: Schwarzer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
Vom Netzwerk:
hatten einen großen Teil der Haut der Frau in Stücke gerissen, aber das war nur nebensächlich. Die Blutgefäße waren schwer verletzt, und natürlich stand sie unter Schock.
    Anna riskierte den Zorn von Doktor Brandt, indem sie eine größere Arterie abklemmte, bevor der Arzt erschien. Dann ergriff sie Maßnahmen gegen den Schock. Sie hob die Beine der Frau an und legte eine Decke über sie. Schon nach wenigen Augenblicken bildeten sich dunkle Flecken auf der Decke, wo sie sich mit Blut vollsaugte. Die Schwester wollte gerade weitere Schritte unternehmen, als Greta Müller die Chirurgie betrat.
    »Sei vorsichtig!« mahnte die junge Schwester.
    »Warum?«
    »Ich habe gerade gehört, wie der Herr Doktor sagte, er wollte sich persönlich um diese Frau kümmern.«
    Beide Krankenschwestern wußten, was das bedeutete. Es wäre besser gewesen, die Zigeunerin verbluten zu lassen. Anna sah zu, wie sich Greta mit Tabletts und Desinfektionsmitteln beschäftigte, wie sie irgend etwas tat, um sich von dem abzulenken, was ihr direkt vor Augen lag, und um außerdem beschäftigt auszusehen, wenn der Herr Doktor hereinkam.
    Sekunden später trat Klaus Brandt durch die Schwingtür der Chirurgie. Mit seinem grauen Haar, seinem weißen Kittel und seinem preußischem Benehmen war er das Bilderbuchbild eines besorgten und fähigen Arztes, der zu einem Notfall eilte.
    Nichts hätte der Wahrheit weniger entsprechen können. Er ging zu einer Nische in der gegenüberliegenden Wand und nahm eine 20 cm 3 -Spritze heraus.
    »Assistieren Sie mir, Schwester Kaas?« fragte er.
    »Diese Ehre gebührt mir, Herr Doktor«, mischte sich Greta schnell ein.
    Anna warf der unterwürfigen Schwester einen kurzen Seitenblick zu und dankte ihr im stillen. Greta sah rasch zur Tür. Geh, solange du noch kannst, hieß das. Und aus dem Hauptflur hörte Anna, wie Brandts kalte Stimme irgend etwas verlangte. Wütend rang sie die Hände und verließ das Krankenhaus.
    Der Appellplatz war verlassen. Hauptscharführer Sturms Leute hatten alle in ihre Baracken getrieben. 60 Meter weiter, auf der anderen Seite der Schneefläche, würden sich jetzt Augen an die Spalten im Holz pressen und auf die leisesten Anzeichen einer Vergeltungsmaßnahme der SS lauern. Anna blickte zu den Wachtürmen hinauf. Alle Maschinengewehre waren auf die Türen der Baracken gerichtet, und vier von Sturms Hundeführern tauchten aus Richtung der Zwinger auf. Alle hielten Schäferhunde, die an ihren Ketten zerrten. Keiner der Hunde trug einen Maulkorb.
    Anna hörte, wie die Krankenhaustür geöffnet wurde, fühlte, wie sich jemand an ihrer Schulter vorbeidrängte und sah den Rücken eines weißen Kittels, als Brandt an ihr vorüberging und vorsichtig die vereisten Stufen hinunterschritt. Sie wußte, daß es besser war zu schweigen. Es wäre Wahnsinn, ihn jetzt anzusprechen; aber sie konnte nicht anders.
    »Herr Doktor?«
    Brandt blieb stehen, drehte sich dann um und sah zu ihr herauf. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos.
    »Die Patientin?«
    Brandts Gesicht erwachte plötzlich zum Leben, wie ein Bild, das unvermittelt in Bewegung geriet. »Die Patientin ist gestorben, Schwester Kaas. Herzstillstand, furchte ich. Der Schock war wohl zuviel für sie.«
    Er tat einen Schritt auf sie zu. »Haben Sie die Arterie geklammert?«
    Anna nickte zögernd.
    »Sie wissen, daß das nicht in Ihre Kompetenz fällt.« Brandt lächelte mechanisch. »Trotzdem haben Sie gute Arbeit geleistet. Initiative muß ermutigt werden. Sie hätten sie fast gerettet.«
    Wenn du sie nicht umgebracht hättest! Anna hätte es ihm am liebsten ins Gesicht geschrien; aber sie schwieg und sah einfach nur zu, wie er sich umdrehte und über den Appellplatz in sein Quartier marschierte.
    Anna ging wieder ins Krankenhaus zurück. Greta säuberte gerade den Operationssaal. Die blutige Decke verhüllte nun auch das Gesicht der Zigeunerin. Auf dem Tablett neben ihrem Leichnam lag die Spritze und eine halbleere Phiole.
    Anna nahm sie in die Hand und las das Etikett: PHENOL.
    Brandt hatte der Frau Phenol direkt in den Herzmuskel injiziert und ihr damit einen qualvollen Todeskampf beschert, der wahrscheinlich ein oder zwei Minuten gedauert hatte. Es war seine Lieblingsmethode der >Eliminierung<, wie er das nannte.
    »Er hat sie umgebracht«, sagte Anna tonlos.
    Greta hob den Kopf und starrte Anna an, als wäre sie verrückt.
    »Wir sind doch Krankenschwestern, Greta, oder nicht?«
    Greta Müller wandte den Blick ab. Sie schien zwischen Wut

Weitere Kostenlose Bücher