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Schwarzer Tod

Titel: Schwarzer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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und Mitgefühl zu schwanken. Schließlich antwortete sie: »Das ist Politik. Davon verstehe ich nichts. Ich bin nur ein einfaches Mädchen vom Land. Der Führer sagt, die Juden und die Zigeuner seien wie eine Infektion. Man muß Infektionen bekämpfen, um den Befallenen zu retten. Und in diesem Fall ist der befallene Körper die Nation. Das Prinzip verstehe ich. Viele unserer größten Ärzte haben das bestätigt. Selbst Sauerbruch.«
    Anna schüttelte hoffnungslos den Kopf.
    »Aber eins verstehe ich nicht«, fuhr Greta fort.
    »Was?«
    Die kleinere Schwester zog die Decke zurück und deutete auf die verletzte Kehle. »Dies hier. Sie wäre sowieso gestorben.«
    »Was willst du damit sagen, Greta?«
    Die Schwester zuckte mit den Schultern und legte die Decke wieder über das Gesicht der Frau. »Im Leben muß man manchmal einfach schwere Dinge tun; aber es ist nicht nötig, daß man sie auch noch genießt.«
    Rachel saß steif in einer Ecke der jüdischen Frauenbaracke und drückte Jan und Hannah an die Brust. Frau Hagan stand auf der anderen Seite und beobachtete durch einen Spalt in der Tür den Appellplatz. Alle Blockveteranen glaubten, daß eine Vergeltungsmaßnahme unmittelbar bevorstand.
    Rachel kannte keine Vergeltungsmaßnahmen. Sie war noch nicht lange genug in einem Lager und hatte daher noch keine miterlebt. Einige Frauen zischten, daß die SS doch alle Zigeuner ermorden solle, weil es schließlich auch eine Zigeunerin gewesen sei, die sich auf Brandt gestürzt hatte. Was für ein Wahnsinn! Es war Wahnsinn, wenn die Furcht gute Menschen dazu treiben konnte, sich auf eine Frau zu stürzen, deren einziges Verbrechen es gewesen war, Genugtuung vom Mörder ihres Sohnes zu fordern. Rachel war sicher, daß sie genauso gehandelt hätte, wenn Brandt Jan Gewalt angetan hätte ... und vermutlich hätte sie auch dasselbe Schicksal erlitten.
    Sie betete inständig darum, daß die Zigeunerin tot sein möge. Von Hunden zerrissen! Rachel schüttelte sich. Sie konnte es kaum erwarten, daß Schörner sie endlich fragte, warum sie die Nahrung nicht aß, die er ihr schickte. Sie hatte gehofft, ihn durch ihr Fasten davon zu überzeugen, daß Furcht um die Sicherheit ihrer Kinder sie dazu brachte zu hungern, und daß er sie willig und bei Kräften in seinem Bett haben könnte, wenn er ihnen Schutz gewährte.
    Aber jetzt konnte sie nicht mehr länger warten. Brandt konnte vielleicht schon in den nächsten fünf Minuten entscheiden, den Zigeunerjungen in seinem Quartier durch Jan zu ersetzen. Oder er konnte eine Selektion anordnen und ihre beiden Kinder in die Meningitisstation schicken. Nein, sie mußte einfach noch heute in Schörners Büro gehen und unerschrocken versuchen, mit ihm zu verhandeln. Er konnte haben, was er wollte. Sollte Frau Hagan es doch Kollaboration nennen ... Sie hatte ja auch keine Kinder zu beschützen. Für Rachel war nur eins wichtig: An dem Tag, an dem die alliierten Armeen endlich ankamen, seien es Russen oder Amerikaner, das war ihr gleich, an dem Tag würde Rachel Jansen sie mit ihren Kindern im Arm am Tor von Totenhausen begrüßen.
    Lebendig.

23

    Rachel brauchte nicht selbst in Sturmbannführer Schörners Büro zu gehen und darum zu bitten, ihn sprechen zu dürfen. Eine Viertelstunde nach dem Tod der Zigeunerin schickte Schörner Weitz in die Baracke. Er hatte den Befehl, Rachel zu ihm zu bringen.
    Rachels erste Reaktion war Panik. Hatte Schörner keine Lust mehr zu warten und wollte sie jetzt bestrafen?
    »Die Polin kümmert sich um deine Bälger«, knurrte Weitz, während er Rachel über den Appellplatz scheuchte. »Ich glaube, dieses Miststück hat sich in dich verliebt.«
    In Schörners Büro gingen sie direkt an der Ordonnanz im Vorzimmer vorbei zum Sturmbannführer. Schörner saß hinter seinem Schreibtisch. Er war glattrasiert, und seine Uniformjacke war bis an den Hals zugeknöpft. Schörner schickte Weitz hinaus und wollte etwas sagen, doch Rachel kam ihm zuvor.
    »Einen Moment, bitte, Sturmbannführer. Darf ich Ihnen eine Frage stellen?«
    Schörner schien ihre Gradlinigkeit zu mißfallen. »Wenn es sein muß.«
    »Es ist eine schwierige Frage, Sturmbannführer.«
    »Ich bin nicht sonderlich empfindlich.«
    Rachel konzentrierte sich darauf, perfektes Deutsch zu sprechen. »Stehen Sie zu Ihrem Wort, Sturmbannführer? Sind Sie ein Mann von Ehre?«
    Statt beleidigt aufzubrausen, wie Rachel befürchtet hatte, lehnte sich Schörner auf seinem Stuhl zurück und betrachtete sie interessiert,

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