Schwarzer Tod
kletterte. Der Mann wog mindestens 20 Kilo mehr als Stern, und doch kletterte er den Mast mit der Geschicklichkeit eines Affen empor. Stern konzentrierte sich auf den gewaltigen Querbalken hoch über seinem Kopf und verdoppelte seine Bemühungen. Er schrammte sich beide Wangen und die Innenseiten der Unterarme auf.
Mit der rechten Hand hatte er gerade den rauhen Querbalken gepackt, als McShane rief: »Du schuldest mir fünf Pfund, Kumpel.«
Stern blickte hinüber. Der massige Highlander saß bereits über ihm auf dem Querbalken, ließ die nackten Beine unter dem Kilt baumeln und grinste übers ganze Gesicht. Stern hörte ein leises Surren und blickte den Hügel hinunter. 30 Meter weiter, an McShanes Kabel, trudelte ein dunkelgrüner Gaskanister rasch bergab dem zweiten Mast entgegen.
Stern streckte die Hand aus und riß das Gummiseil von der Rolle, die ihm am nächsten war. Damit löste er den Keil, der den Kanister hielt. Nur von der Schwerkraft getrieben entfernte sich der grüne Kanister immer schneller vom Mast weg. Die ganze Konstruktion sah aus, als hätte man eine Sauerstoffflasche an einem Skilift befestigt, aber das hinderte sie nicht daran, präzise zu funktionieren.
»Ich habe keine fünf Pfund«, knurrte Stern und hockte sich auf sein Ende des Querbalkens.
McShane winkte ab. »Sie können mir ein Halbes in Fort William ausgeben. Das ist ohnehin besser als Geld.«
Stern nickte, während er noch immer nach Luft schnappte.
»Das da ist der Ben Nevis«, sagte McShane. »Sehen Sie ihn? Ich nenne ihn den kauernden Löwen. Er ist der höchste Berg Schottlands«.
Stern ließ seinen Blick über das Tal schweifen. Weit im Süden sah er den bewaldeten Buckel des Berges im Nebel verschwinden. Loch Lochy schimmerte wie ein poliertes Tablett im Licht der blassen Sonne.
»Ich glaube, Sie haben es wirklich raus«, sagte McShane und hob die Stimme, um das Rauschen des Windes zu übertönen. »Natürlich brauchten Sie noch einen Monat, um mein Niveau zu erreichen.«
Stern nickte resigniert. »Sie sind verdammt gut«, gab er zu. »Aber warum um Himmels willen geben Sie sich soviel Mühe? Sie sind doch nicht derjenige, der nach ...«
Stern brach ab und starrte in die blauen Augen des Highlanders.
Der zwinkerte ihm zu. »Ah, sind Sie endlich dahintergekommen, ja? Meine Güte, Sie haben bloß eine Woche dafür gebraucht.«
»Sie verschwiegener Mistkerl. Sie gehen hin, und hängen die Kanister auf!«
Beleidigt verzog McShane das Gesicht. »Ich gehe nicht einfach nur, ich leite den verdammten Einsatz!«
»Wer geht noch mit?«
McShane sah sich vorsichtig um, was 20 Meter über dem Boden ziemlich albern wirkte. »Drei andere Ausbilder,« antwortete er. »Wir haben es satt, Hosenscheißer wie Sie auszubilden. Das wird vermutlich der letzte echte Kommandoeinsatz des ganzen Krieges sein, wissen Sie? Ich meine, Kommandoeinsatz im klassischen Sinn: zuschlagen und weg. Oder schießen und verpissen, wie wir das nennen.«
»Für Sie ist das alles nur ein Spiel, nicht wahr?« bemerkte Stern vorwurfsvoll. »Der Krieg, meine ich.«
McShane lächelte noch immer; doch seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Das ist eine Möglichkeit, wie man es betrachten kann. So behalten Sie zumindest die Perspektive, ganz gleich wie schlimm es kommt. Aber ich will Ihnen eines sagen: Als die Luftwaffe London in den Dreck gebombt hat und die RAF-Jungs über dem Kanal wie Fliegen starben, war das kein Spiel mehr. Churchill hat uns rübergeschickt, um allen zu zeigen, daß England nicht vor Hitler kuscht. Wir sind in kleine Stücke zerrissen worden. In den ersten beiden Jahren habe ich viele Kameraden verloren, und der Tag der Abrechnung steht kurz bevor.«
McShane streckte den Stiefel aus und trat sachte gegen einen dritten Gaskanister, der am Kabel unter ihm hing. »Ich vermute, die meisten sind zufrieden, auf die Invasion zu warten; aber wir Highlander sind ein rachsüchtiges Völkchen, manchmal zu unserem eigenen Schaden. Smith hat mir die Möglichkeit angeboten, die Mistkerle da zu treffen, wo es richtig weh tut; also habe ich zugeschlagen.«
Stern hätte niemals gedacht, daß er je etwas für einen britischen Soldaten empfinden würde, aber in diesem Moment tat er es. »Wieviel wissen Sie über den Einsatz, Sergeant?«
McShane sah an ihm vorbei zu den grauen Hügeln. »Ich weiß alles, was ich wissen muß. Genauso viel wie Sie. Hab mich nicht bemüht, mehr zu erfahren.« Er sah an sich hinunter und prüfte die Steigeisen für den
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