Schwarzer Tod
Schörner ihr befehlen würde, wieder in den Frauenblock zurückzukehren, sobald er fertig war; doch nachdem sie ihre Unterhose wieder angezogen hatte und von der Couch aufgestanden war, bat Schörner sie, noch eine Weile zu bleiben. Rachel zögerte und überlegte, was er wohl noch von ihr wollte. War er nicht befriedigt? Er sah ziemlich entspannt aus.
Schörner führte Rachel in sein Vorzimmer und bat sie, sich in einen Lehnstuhl zu setzen. Er schenkte ihr ein Glas Weinbrand ein, den Rachel unberührt auf dem niedrigen Couchtisch stehen ließ. Dann sah Schörner sie einfach nur an. Rachel empfand das Schweigen als bedrückend; dennoch fühlte sie sich nicht besonders unbehaglich. Sie bemerkte einfach nur, daß die Unterkunft des Sturmbannführers im Gegensatz zur Baracke des jüdischen Frauenblocks nicht nach Schweiß, Desinfektionsmitteln und noch Schlimmerem stank. Sie roch nach Leder und Gewehröl und schwach nach Zigarren. Während er einfach nur dasaß und sie betrachtete, überlegte Rachel, ob sie nun eine andere Person geworden war, nun da sie ihn hatte gewähren lassen. Sie fühlte sich nicht anders - jedenfalls nicht anders als eine Viertelstunde vorher, als sie durch diese Tür gegangen war. Aber vielleicht waren ihre Gedanken ja auch vernebelt wie die eines Schwerverwundeten.
Während Rachel dasaß und über all das nachdachte, begann Sturmbannführer Schörner zu reden. Die Dinge, die er sagte, kamen ihr merkwürdig vor. Er sprach über Köln, seine Heimatstadt, und wie sehr er sie vermißte. Dann redete er über seinen älteren Bruder und über die Jagdausflüge, die sie als Jungen gemeinsam unternommen hatten. Er erwartete keine Antwort von Rachel, sondern wollte nur, daß sie ihm zuhörte. Sie war froh, daß er vorher nicht soviel geredet hatte. Irgendwie wußte sie, daß es ihr dann schwerer gefallen wäre, den Akt zu verdrängen. Nach einer Weile schwieg er wieder. Er betrachtete Rachel so sehnsüchtig, daß sie plötzlich wußte, was er dachte. Dieses merkwürdige Wissen gab ihr den Mut, eine Frage zu stellen.
»Wer ist die Person, an die ich Sie erinnere, Sturmbannführer?«
Schörner antwortete ohne zu zögern, als habe er schon die ganze Zeit auf diese Frage gewartet. »An eine junge Frau aus meiner Heimatstadt - aus Köln, wie ich ja schon sagte. Ihr Name war Erika. Erika Möser. Wir waren schon seit unserer Jugend ein Paar, aber niemand wußte es. Sie war die Tochter einer konkurrierenden Bankiersfamilie. Sie haben sicherlich Shakespeare gelesen. Es war fast wie bei den Montagues und Capulets. Hitlers Aufstieg machte es sogar noch schwieriger für uns. Im Gegensatz zu meinem Vater verurteilte Herr Möser öffentlich den Führer und alle, die ihn unterstützten. Er war ein arroganter Mann und zu mächtig, um ihn einfach zu eliminieren, doch Goebbels zwang ihn 1939, das Land zu verlassen. Erika blieb hier und wartete auf mich.« Schörner schluckte und sah zu Boden. »Das war ein Fehler. Sie wurde während des britischen Tausend-Bomber-Luftangriff von 1942 getötet.«
Rachel lauschte verblüfft. Es war einfach unglaublich. Jeder stellte sich die SS-Offiziere als Monster vor, als seelenlose Maschinen, die Befehlen folgten und Vergewaltigungen und Massaker anordneten, aber nicht als menschliche Wesen, die ihre Jugendlieben poetisch mit Romeo und Julia verglichen. Doch auch Schörner hatte schon oft getötet, dessen war sie sicher. Allein in Totenhausen hatte er Hunderte, vielleicht sogar Tausende Exekutionen von Gefangenen beaufsichtigt ... und heute hatte er sie gezwungen, ihm zu Willen zu sein.
»Haben Sie studiert?« fragte Schörner plötzlich.
»Ja. In Vrije. Allerdings nur zwei Jahre lang. Ich habe vor meinem Abschluß geheiratet.«
»Aber das ist ja wunderbar! Vielleicht kann ich mich ja jetzt eine Weile mit Worten unterhalten, die nicht im Diensthandbuch stehen. Ich habe Ihnen doch schon erzählt, daß ich in Oxford gewesen bin, nicht wahr?«
Rachel konnte kaum glauben, daß er sich noch daran erinnerte, so betrunken, wie er gewesen war. »Ja, Sturmbannführer. Sie sagten, Sie wären ein zahlender Student gewesen, kein Rhodes-Stipendiat.«
Schörner lachte. »Das ist richtig. Mein Vater wollte mich als deutschen Asquith sehen. Seltsam, nicht wahr?«
»Viel seltsamer finde ich, daß ein solcher Mann zuließ, daß sein Sohn in die SS eintrat.«
»Daß er es zuließ!« Schörner schlug sich aufs Knie. »Der alte Heuchler hat mich förmlich gezwungen! Es ist wirklich wahr! Ich will
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