Schwarzer Tod
leicht den Kopf zur Seite und lachte leise. »Ich denke schon; aber in diesem verrückten Lager dürfte das, was wir heute abend getan haben, kaum als Verfehlung gelten.«
Rachel gab nicht so leicht auf. »Ich bin eine Jüdin«, sagte sie. »Was bedeutet das für Sie?«
Schörner hob die Hände. »Für mich sind Sie nur eine Frau«, antwortete er. »Ich kümmere mich nicht besonders um Religion. Das habe ich noch nie getan. Brandt ist es auch gleich, wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen soll. Für ihn sind wir alle nur Versuchskaninchen.«
»Wenn ich alt und häßlich wäre«, sagte Rachel, »würden Sie sich dann immer noch nicht um meine Religion kümmern?«
Schörner lachte wieder. »Sie sind aber nicht alt und häßlich. Selbst mit Ihrem Kahlkopf sind Sie noch wunderschön. Aber bitte, bedrängen Sie mich nicht weiter. In allen Gesellschaften gibt es Paradoxa, Frau Jansen. Sie sind nicht so aufgewachsen wie ich, also können Sie nicht verstehen, was mich in diese Lage geführt hat, genauso wenig wie ich Ihre Position verstehen kann.«
»Wohl kaum«, bestätigte Rachel kaum hörbar.
Schörner stand langsam auf, und deutete damit an, daß die Unterhaltung vorbei sei. »Ich hege keinerlei Zweifel, daß dieses Gespräch unter uns bleibt. Sie verstehen, was ich meine.«
Rachel hatte das Gefühl, als habe jemand in ihrer Brust einen Schalter umgelegt. Sie hatte das Gespräch als seltsam intim empfunden. Dabei hatte Schörner nur offen mit ihr gesprochen, weil er sicher sein konnte, daß sie ohnehin bald sterben würde wie die anderen Gefangenen auch. Sie mochte kaum glauben, daß sie gewagt hatte, ihn so hartnäckig nach seinen privaten Gedanken zu fragen.
»Ich verstehe vollkommen, Sturmbannführer«, erwiderte sie gehorsam. »Soll ich jetzt gehen?«
»Sie können gehen. Ich freue mich schon auf Ihren nächsten Besuch.«
Rachel drehte sich um.
»Moment noch. Nehmen Sie den Weinbrand mit.«
Schörner hielt ihr das Glas hin, das sie unberührt auf dem Tisch hatte stehen lassen. Rachel überlegte kurz, ob sie es für Frau Hagan mitnehmen sollte. Die Polin hatte sicherlich keine Skrupel, Nazibeute zu trinken; doch Rachel rührte das Glas nicht an. Irgendwie glaubte sie, verloren zu sein, sollte sie ein Geschenk von Schörner annehmen. Sie fürchtete, sich niemals wiederzufinden, nicht einmal, wenn es ihr gelingen sollte, irgendwann von hier zu fliehen.
Es war zwar nur ein kleiner Sieg, doch sie klammerte sich daran.
Vor Schörners Quartier sah Rachel einen Mann im Schatten der Kommandantur, der eine Zigarette rauchte. Unwillkürlich zuckte sie zusammen, weil sie fürchtete, es könne Hauptscharführer Sturm sein.
Als sie näherkam, erkannte sie jedoch, daß es nur einer von Sturms Hundeführern war. Er behelligte sie nicht, doch als sie sah, wie er lächelte, beschleunigte Rachel unwillkürlich ihren Schritt und ging so schnell wie möglich an ihm vorbei.
24
»Das Geld habe ich so gut wie sicher!« rief Sergeant McShane.
Jonas Stern stand vor einem 20 Meter hohen Mast und starrte Ian McShane an, der sich etwa sieben Meter entfernt am Fuß eines identischen Masts positioniert hatte. Die großen Masten waren an der Spitze durch einen sieben Meter breiten Querbalken miteinander verbunden; es war eine ungefähre Kopie der Konstruktion, die Stern in Deutschland würde erklimmen müssen. Drei elektrische Kabel führten vom Querbalken zu einem anderen Mast etwa 100 Meter weiter den Hügel hinunter und dann weiter zu einem dritten am Ufer des Loch Lochy. McShane hatte mit Stern um fünf Pfund gewettet, daß er ihn schlagen und als erster einen der Kanister auslösen würde, die an den Kabeln hingen.
»Fertig?« rief er.
Stern sah auf seine Stiefel hinab. Die Klettereisen waren sicher an seinen Waden befestigt. Zwar hätte er den Sicherheitsgurt gerne abgelegt, der ihn an der Taille locker mit dem Mast verband, doch McShane hatte darauf bestanden, daß er ihn trug; das war Teil der Wette. Stern hob den linken Fuß einen Meter über den nassen Boden und grub einen Dorn des Eisens in den Mast. Dann schob er den Gürtel so weit hoch, daß er ihn nicht behinderte, wenn er zu klettern begann.
»Fertig!« erwiderte er.
»Wir sehen uns oben!« rief McShane.
Stern kletterte den Mast schnell empor, kämpfte jedoch die ganze Zeit mit dem Sicherheitsgurt. Bei jedem Meter schwor er sich, daß er ihn in Deutschland nicht tragen würde. Er warf einen Blick nach links und sah erstaunt, wie geschmeidig Sergeant McShane
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