Schwarzer Tod
wäre.«
»Hat er Sie gebeten, ihn zu töten?« fragte Stern.
»Ja.« Anna berührte ihre Wange, als wolle sie sich vergewissern, daß sie noch am Leben war. »Erst habe ich mich geweigert; aber dann wurde mir klar, was es bedeuten würde, wenn er redete.«
»Sie haben es getan?« fragte McConnell.
Anna nickte schwach. »Sechs Kubikzentimeter Morphium in seine Oberschenkelarterie.«
McConnell hob die Hand, um sie zu trösten, aber sie wich zurück.
»Haben Sie ihn sterben sehen?« erkundigte sich Stern.
»Ich habe gesehen, wie er ins Koma fiel.«
Stern drehte sich zu McConnell um. »Würde ihn das umbringen? Das Morphium?«
»Eine volle Dosis in die Oberschenkelarterie reicht so gut wie sicher aus. Erst kommt der Atemstillstand, dann tritt der Tod ein.«
»Wie kommt es, daß Sie jetzt hier sind?« wollte Stern wissen. Seine Stimme klang barsch und erbarmungslos. »Sie haben einen Gefangenen getötet, und man hat sie einfach so gehen lassen?« »Hören Sie auf, sie zu verhören«, mischte sich McConnell ein.
»Ihnen ist doch klar, daß sie jetzt direkt vor der Tür sein könnten?« Stern trat ans Fenster. »Sie verdammter Narr! Sie hat Schörner vielleicht direkt zu uns geführt!«
»Sehen Sie etwas?« fragte McConnell sarkastisch.
»Es ist zu dunkel.«
»Ich weiß, daß ich hätte bleiben sollen«, sagte Anna und strich sich endlich das Haar aus dem Gesicht. »Aber ich konnte nicht. Ich wäre vielleicht direkt vor Schörner verrückt geworden. Ich habe dem Wächter erzählt, daß Miklos' Herz schwach wäre und daß ich alles getan hätte, was in meiner Macht stünde. Und ich habe ihm gesagt, daß Schörner nach mir schicken solle, wenn er mich brauche.«
»Wie dumm!« murrte Stern vom Fenster aus. »Das war richtiggehend blöd! Schörner muß einfach jemanden schicken!«
»Das ist mir egal«, flüsterte Anna. »Es kümmert mich nicht mehr.«
»Das sollte es aber. Sonst sterben Sie.«
»Aber es ist mir egal. Verstehen Sie denn nicht? Ich habe gerade einen Freund getötet. Er war eigentlich noch ein Junge. Ich habe ihn ermordet. Das sollte man von niemandem verlangen. Von niemandem!«
»Es ist Krieg«, erwiderte Stern.
»Krieg?« Anna ging um den Tisch zu ihm. »Was wissen Sie schon vom Krieg!« fuhr sie ihn an.
McConnell sah überrascht zu, wie die deutsche Krankenschwester beide Hände auf Sterns Brust legte und ihn rückwärts gegen die Spüle schob.
»Was haben Sie bisher getan?« wollte sie wissen. »Sie haben geredet. Geredet, geredet und geredet. Ich habe Ihr Gerede satt! Wenn Sie glauben, daß SS-Männer kommen, dann schieben Sie Ihren Hintern den Hügel hinauf. Gehen Sie! Vergasen Sie das ganze Lager! Töten Sie alle Gefangenen! Mir ist es gleich. Ich fordere Sie sogar auf, es zu tun!«
Anna wich das Blut aus dem Gesicht. Als sie zu schwanken begann, streckte McConnell den Arm aus und zog sie an sich.
Sie wehrte sich nicht.
»Jonas«, sagte er leise. »Ich glaube, wir sind an dem Punkt angelangt, wo wir das wirklich in Betracht ziehen müssen.«
»Wovon reden Sie?«
»Was glauben Sie denn, wovon ich rede?«
Stern drehte sich wieder zum Fenster um und gab vor, die Straße zu beobachten. »Aber wir waren uns doch einig, daß wir die Gefangenen retten wollten.«
»Dann sollten Sie sich lieber beeilen«, sagte Anna an McConnells Brust gelehnt. »Sie haben zehn weitere erschossen, als ich noch da war.«
»Was?« Stern wirbelte herum und starrte sie an, als müsse er sich gegen eine Kugel wappnen. »Wen haben sie erschossen?«
Anna hob den Kopf. »Fünf jüdische Frauen und fünf polnische Männer.«
Stern zwinkerte einige Male. Seine Erleichterung war offensichtlich. »Aber warum haben sie diese Leute erschossen?«
»Schörner weiß, daß etwas im Lager vorgeht. Erst dachte er, daß die Fallschirme und der Rest etwas mit Peenemünde zu tun hätten. Doch davon ist er jetzt nicht mehr so überzeugt. Und zu allem Überfluß scheinen sie auch noch eine SS-Patrouille verloren zu haben.«
McConnell hob den Kopf und blickte Stern in die Augen.
Anna legte ihre Hand auf McConnells Brust, als wolle sie ihm danken, richtete sich auf und ging zur Anrichte. Dort entzündete sie drei Stummelkerzen. Man konnte leicht vergessen, daß elektrisches Licht unerwünschte Aufmerksamkeit erregte.
»Schörner hat mich wirklich ins Lager gerufen, um mich zu befragen«, sagte sie. »Er glaubt, daß jemand von den Angestellten ein Verräter ist, entweder eine Krankenschwester oder ein Techniker aus dem
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