Schwarzer Tod
»Ich habe alles für ihn getan, was ich tun konnte. Er ist jetzt für die Befragung vorbereitet.« Sie nahm ihren letzten Mut zusammen. »Sagen Sie Wolfgang, daß ich wiederkomme, wenn er mich braucht, aber ich muß jetzt schlafen. Ich habe morgen Dienst.«
Sie steckte die Adrenalinampulle aus der Notfallausrüstung ein, damit dieser Teil ihrer Geschichte hielt, und ging zur Tür. Sie wußte, daß sie auf Schörner warten sollte; es war Wahnsinn, zu gehen. Sie könnte warten und die ahnungslose Krankenschwester spielen, während Schörner sich für den Tod des Gefangenen bei dem Gestapomann aus Peenemünde entschuldigte. Aber sie schaffte es einfach nicht.
Der SS-Mann versperrte ihr den Weg, als sie sich der Treppe näherte, aber ihr professionelles Benehmen und die Benutzung von Schörners Vornamen schüchterten ihn ausreichend ein, daß er rasch wieder beiseite trat. Anna marschierte an ihm vorbei die Treppe hinauf und verließ das Krankenhaus. Bei jedem Schritt verurteilte sie sich selbst, aber sie ging weiter. Sie ging und ging, bis sie geradewegs aus dem Haupttor von Totenhausen marschiert war.
Minuten später starb Miklos Wojik.
36
Nachdem Anna gegangen war, warteten McConnell und Stern eine Stunde im Keller des Hauses. Doch dann waren sie so beunruhigt, daß sie in die Küche gingen und im Dunkeln etwas Käse aßen. Jede Minute trat Stern ans Fenster und suchte die Straße nach Fahrzeugen ab. Einmal hörten sie ein Motorrad, aber es war nur ein SS-Mann, der nach Dornow fuhr. Als Anna schließlich zurückkehrte, hörten sie sie nicht. Sie machte einfach die Tür auf und trat in die dunkle Diele.
Stern schaltete das Küchenlicht an.
Anna stand in der Tür. Ihr blondes Haar war zerzaust und klebte an ihren Wangen. Ihr Mantel war naß, als wäre sie dutzendmal in den Schnee gefallen. Sie zitterte unkontrolliert.
McConnell sprang auf und stützte sie. »Setzen Sie Kaffee auf«, sagte er zu Stern.
Der rührte sich nicht. »Was ist passiert?« fragte er. »Was wollten sie von Ihnen?«
Annas Blick ging ins Leere. »Es ist vorbei«, murmelte sie.
»Wie meinen Sie das?« Stern nahm seine Schmeisser von der Anrichte. »Wissen sie, daß wir hier sind?«
»Das weiß ich nicht. Aber Schörner hat die Wojiks erwischt.«
»O Gott«, murmelte McConnell. »Sind Sie hierhergelaufen?«
»Ja.«
»Himmel.«
»Schörner?« fragte Stern. »Schörner ist nicht Scarlett?«
Anna schüttelte den Kopf.
»Haben sie die Nachricht nach Schweden geschickt?«
»Nein.«
»Nein? Keine Nachricht? Kein Luftangriff?« »Nein.«
»Scheiße! Haben die Polen schon geredet? Wie lange hat Schörner sie in den Fingern gehabt?«
»Sie haben nicht geredet«, sagte Anna und drehte sich halb um, während McConnell ihr den nassen Mantel auszog.
»Woher wissen Sie das?« hakte Stern nach.
»Sie können nicht reden.«
»Was meinen Sie damit? Sind Sie tot?«
»Ja.«
»Beide?«
»Ja.«
»Und die Nachricht? Meine Nachricht an Smith?«
»Stan hat sie vernichtet, bevor sie erwischt wurden.«
»Woher wissen Sie das?«
»Miklos hat es mir gesagt.«
»Sie haben mit ihnen geredet?«
»Nur mit Miklos. Stan war schon tot. Gefoltert.«
»Gefoltert? Woher wissen Sie dann, daß er nicht geredet hat?«
Jetzt endlich sah Anna Stern an. »Weil Miklos es mir gesagt hat«, antwortete sie, und ihre Nasenflügel bebten vor Zorn. »Und weil ich Stan Wojik kannte. Er war hart. Härter als Sie jemals sein werden, Herr Stern. Er haßte die Nazis. Er haßte sie so sehr, daß er mit Freuden wie ein Tier im Wald gelebt hat, nur um sie bekämpfen zu können. Glauben Sie, daß die Juden die einzigen sind, die in diesem Krieg gelitten haben?«
»Was ist mit dem anderen?« verlangte Stern unbeeindruckt zu wissen. »Der kleine Dünne? Wurde er auch gefoltert? Er sah nicht so hart aus.«
»Er war aber hart. Hart genug, daß er mich gebeten hat, ihn zu töten.«
McConnell und Stern sahen sich an.
Annas Stimme klang vollkommen gefühllos. Sie war sicher, daß es nicht mehr in ihrer Macht stand, den Lauf der Ereignisse zu beeinflussen. »Hauptscharführer Sturm hat Stan getötet, bevor sie das Lager erreichten. Ein Gestapomann aus Peenemünde ist auf dem Weg nach Totenhausen, um Miklos zu verhören. Schörner hat mich gebeten, ihn für das Verhör zurechtzumachen. Wir waren allein. Miklos hat mir gesagt, daß er bestimmt reden würde, wenn sie ihn so folterten, wie sie Stan gefoltert hatten. Er sagte ... er sagte, er wüßte, daß er schwach
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