Schwarzer Tod
Entscheidung treffen. Einer der Gefangenen muß als Kontrolle fungieren. Haben Sie eine bestimmte Vorliebe?«
Jetzt begriff Rachel, daß Brandt mit Schörner spielte. Irgendwie wußte der Arzt genau, was sein Sicherheitschef mit seiner übertriebenen Vorstellung bezweckt hatte. Schörner diese Wahl zu lassen, war nur ein weiteres perverses Experiment, das Brandts persönlichem Vergnügen diente. Bevor Schörner antworten konnte, hörte Rachel hinter sich das leise Flüstern des Schuhmachers.
»Er kann Sie nicht retten. Sie müssen sich freiwillig melden. Denken Sie an Ihre Kinder ...«
»Ich habe keine Präferenz«, antwortete Schörner gelassen, ohne dabei Brandt aus den Augen zu lassen.
Brandt lächelte unmerklich. »Das freut mich zu hören, Sturmbannführer. In diesem Fall ...«
»Ich melde mich freiwillig, um einen Anzug zu tragen«, rief Rachel und trat vor.
Brandt musterte sie einen Augenblick lang interessiert. »Das würde ich auch, wenn ich an Ihrer Stelle wäre.« Er ließ seinen Blick über ihren Körper gleiten und sah dann Schörner vielsagend an. »Also, Sturmbannführer? Geben wir der jungen Dame, was sie will. Einen Anzug, natürlich.«
Schörner schnippte mit den Fingern, und Ariel Weitz trat sofort mit einem Anzug zu Rachel und öffnete ihn.
»Ich melde mich auch freiwillig!«
Rachel drehte sich um. Ihr Schwiegervater folgte ihrem Beispiel. Sie sah, wie Brandt den alten Schneider mit klinischer Distanz musterte.
»Ich glaube nicht«, sagte Brandt. »Geben Sie den anderen Anzug dem Schuhmacher. Wollen mal sehen, ob sein Glück ihm treu bleibt, was, Schörner? Er hat immerhin schon einen dieser Tests überlebt, wissen Sie? Allerdings war das eine sehr frühe Version von Sarin, wenn ich mich recht entsinne. Längst nicht so giftig wie Soman IV.«
Als Benjamin Jansen die Bedeutung dieser Worte begriff, sagte Brandt: »Fesseln Sie das Kontrollsubjekt an Händen und Füßen. Wir dürfen nicht riskieren, daß er den Anzug in seinen Todesqualen zerreißt.«
Der alte Schneider wehrte sich, doch Rachel nahm so gut wie nichts mehr wahr, bis sie sich in einer erleuchteten Ecke des E-Blocks befand. Ihr Kopf und ihr ganzer Körper waren in Gummi eingehüllt, und sie atmete trockene Luft, die nach Metall schmeckte. Der Schuhmacher saß regungslos neben ihr. Direkt unter ihm an der Wand sah sie eine kleine Gasflasche aus Metall. Kam dort das Soman raus? Wohl kaum. Es sah aus, als habe jemand den kleinen Tank eher zufällig liegenlassen, und seine blaßgrüne Farbe verschmolz perfekt mit der Farbe des E-Blocks.
Rachel sah zu Ben Jansen hinüber, der knapp drei Meter entfernt in der gegenüberliegenden Ecke lag und sich wand. Man hatte dem alten Mann die Würdelosigkeit erspart, ihn nackt auszuziehen. Allerdings nur, um die Wirkung von Soman IV auf uniformierte alliierte Soldaten besser abschätzen zu können. Als Rachel sah, wie er gegen die Seile kämpfte, überlegte sie, welch starker Überlebenstrieb sie dazu gebracht hatte, von ihm wegzutreten und die einzige Entscheidung zu treffen, die ihr eine Chance bot zu leben. Hatte die Sorge um ihre Kinder sie dazu getrieben? Natürlich. Aber war es wirklich nur das? Gab es irgend etwas, was sie nicht tun würde, um noch einen Tag länger zu leben? Als das Zischen von Gasventilen die Gummimaske erfüllte, wußte sie, daß es tatsächlich nichts gab, was sie nicht getan hätte. Sie schloß die Augen, und sie wußte, daß ihr Schwiegervater tot sein würde, wenn sie sie wieder öffnete.
Sie betete inständig, daß sie sie noch öffnen konnte.
Anna Kaas beobachtete die stählerne Luke des E-Blocks von einem offenen Fenster im ersten Stock des Krankenhauses aus. Auf ihrer Uhr waren acht Minuten verstrichen, seit die Häftlinge im Block eingeschlossen worden waren. Das Vergasen dauerte nicht länger als eine Minute, das wußte sie. Sie hatte gesehen, wie die SS-Männer die Ventile hinter dem E-Block aufgedreht hatten. Der Rest der Zeit wurde dafür benötigt, das Soman mit neutralisierenden Chemikalien und Waschmitteln aus der Kammer zu beseitigen. Die übliche Reinigungsmethode, kochendheißer Dampf und ätzende Bleichmittel, konnten bei einem Anzugtest nicht eingesetzt werden, weil Brandt die Überlebenden hinterher immer befragen wollte. Anna dankte Gott, daß niemand den tragbaren Sauerstoffzylinder entdeckt hatte.
Noch nicht, wenigstens.
Zwei Männer mit Gasmasken und Gummihandschuhen gingen vorsichtig die Betontreppe hinunter, öffneten die Luke und
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