Schwarzer Valentinstag
Dunkel der Kirche umfing sie wie ein Mantel.
Philo pfiff leise durch die Zähne: »Wenn Balthas kommt, dann wird es erst schön. Dann bauen wir das Seil auf. Du wirst schauen, wie gut wir dich brauchen können.«
Christoph sagte nichts.
»Vielleicht kommt er gar nicht hierher und wir gehen nach Schlettstadt, Colmar oder Mühlhausen. Das Elsass ist reich. Wir können dann auch weitergehen nach Freiburg, Basel, Konstanz, oder Zürich oder rheinabwärts nach Speyer, Worms, Mainz – wir Gaukler sind beweglich. Und in den anderen Städten bist du sicher.«
»Du willst bloß, dass ich aufgebe.«
Philo fasste ihn am Arm: »Auch Balthas und Regine sagen es. Es ist unvernünftig weiterzumachen. Es ist nicht nur gefährlich, es ist tödlich.«
Philo schien Christoph wie verwandelt.
Tödlich! Er musste es sich ja selbst sagen, aber dann sah er den Vater vor sich, wie er mit schmerzverzerrtem Gesicht und diesem eigenartig steifen Gang über das Gebirge geschritten war.
»Sei ehrlich zu dir selbst.«
»Ich kann nicht anders, ich muss.« Aufgeben, das hieß, das kleine Hämmlein Hoffnung, das immer noch in ihm flackerte, auslöschen. Und nach einigem Zögern: »Dann musst du mich eben allein lassen und zu Regine und Balthas zurückgehen.«
Philo schwieg lange. »Hör zu, ein Mann hatte ein Pferd gekauft. Aber es war ein lahmes Pferd. Es ging nicht recht vorwärts mit diesem Pferd. Ich will es schon hinkriegen, das Pferd, es soll so wollen, wie ich will, dachte der Mann. Aber wenn er sich auf das Pferd setzte, so stolperte es nur so dahin. Noch schlimmer war es, wenn er das Pferd vor einen Wagen spannte – das Pferd machte ein paar Stolperschritte, dann blieb es stehen, die Leute lachten. Das werden wir bald haben, dachte der Mann und hob dem Pferd den Huf und packte das kranke Bein und wollte es gewaltsam verbiegen und gerade machen, damit das Pferd nicht mehr lahmte. Aber das Pferd holte aus und schlug dem Mann an den Kopf, dass er tot war.«
»Das kann mir nicht passieren. Was hat deine Geschichte mit mir zu tun?«
Philo schwieg.
»Du hast schon bessere Geschichten erzählt. Pass auf, ich erzähle dir auch eine – die hat mir mein Vater erzählt.«
Philo schaute auf den Boden.
»Einem Seidenhändler brachte ein Jude einen Sack mit Gold, den er auf einer Reise in den Osten vermehren sollte. Dort verlor der Kaufmann einen großen Teil seines eigenen Geldes durch einen Diebstahl. Er hatte aber noch Hoffnung, den Schaden durch hohe Gewinne wieder wettzumachen. Doch wenig später fiel er Räubern in die Hände, den Sack des Juden hatte er vorher noch verstecken können. Die Räuber, in ihrer Enttäuschung über die geringe Beute, wollten ihn auf sieben Jahre als Sklaven verkaufen. Da zeigte der Kaufmann, der ein gutes Leben gewohnt war, den Räubern das Gold des Juden und wurde freigelassen. Als er nun mit leeren Händen heimkam, verklagte ihn der Jude und bekam Recht. Der Kaufherr musste sein Hab und Gut verkaufen und wurde ein armer Mann, da fielen die Leute über den Juden her und beschimpften ihn. Aber mein Vater nicht: Der Jude hat Recht, sagte er: Man darf sein Kapital nie aufgeben! Ein Kaufmann ohne Hoffnung ist kein Kaufmann.«
»Ja, wenn er noch Kapital in den Händen hat!«, Philo schrie es fast.
»Mein Vater ist halb lahm über den Schwarzwald gegangen. Kannst du mir sagen, was das Kapital meines gefolterten Vaters war, der vor Schmerzen kaum mehr Luft bekam?«
Er ist ja auch tot, dachte Philo. Aber er sagte es nicht, sondern drückte Christoph die Hand und nickte.
Ein Mönch in schwarzweißer Kutte trat durch die Menge und stellte sich auf die Treppe zwischen die Gerichtsschranken am Münster mitten unter die Bettler. Seine Stimme reichte bis zum letzten Winkel des Platzes; von allen Seiten liefen Menschen herbei.
Christoph begriff zuerst nicht recht, worum es ging. Da war von der Kirche die Rede, dann vom Münster, das so jämmerlich dastehe, ohne die beiden Türme, welche der Baumeister vorgesehen habe. Nur Stümpfe seien es geworden. Die Kirche aber führe die Menschen zum ewigen Leben, Christus sei der Schutz und der Erlöser der Menschheit.
Das verstand Christoph und er betete insgeheim um Hilfe.
Während er sich bekreuzigte, änderte sich der Tonfall des Predigers: »Liebe Brüder und Schwestern«, rief er, »ist es nicht eine Schande, dass wir die Kirche nicht fertig bauen, sondern in unseren Sünden verharren? Ist es nicht eine besonders große Sünde, dass wir unter uns die Juden dulden,
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