Schwarzer Valentinstag
Platz, als wärst du der Bettelkönig, und wenn sie dich beschimpfen, wehrst du dich nicht.«
»Was geht es dich an?«
»So ungeschickt hat sich noch kein Anfänger benommen. Scher dich dahin, wo du hingehörst.«
Er hat ja Recht, dachte Christoph.
»Was willst du von mir?«
»Du bettelst – und weißt nicht, wie. Du willst ein Straßburger Bettler sein – und deine Sprache ist nicht von hier. Du hast Hunger, das sieht man dir an – und du trägst Schuhe, von denen du viele Wochen leben könntest, wenn du sie zu Geld machen würdest.«
Christoph war bestürzt. An die Schuhe hatte er nicht mehr gedacht. Sie waren so selbstverständlich –
Der Einäugige flüsterte plötzlich: »Ich weiß, dass dein Leben in Gefahr ist.«
Christoph zuckte zusammen.
»Du kannst mir nichts vormachen.«
Christophs Gedanken überschlugen sich. Was wusste der? War er einer von denen? – Wollte der ihn aushorchen?
»Wart, ich werde die Karten aufdecken.« Er zog den widerstrebenden Christoph in einen kleinen Winkel unten am Fluss.
»So, dann fangen wir erst damit an.«
Sein krummes Bein war plötzlich gerade, der ganze Kerl war größer. Er bückte sich und nahm Wasser aus einer Pfütze, machte einen Lappen nass, den er aus der Tasche zog, und rieb damit heftig das geschlossene Auge. Da war es plötzlich offen. Er zog die Mütze herunter, und da war es Philo, der ihn mit vertrautem Gesicht angrinste und mit wohl bekannter Stimme sprach.
Christoph war es, als ginge plötzlich die Sonne auf.
»Gut, was? Verbesserung der Geschäftsbedingungen. Man muss sich etwas einfallen lassen im Geschäftsleben, das weißt du doch besser als andere.« Er schlug ein Rad und klatschte in die Hände.
»Ich könnte dir viele Lahme in Straßburg zeigen, die gehen, und viele Blinde, die sehen können. Wie heißt es in der Bibel? Da werden Lahme gehen und Blinde sehen.« Da hatte er seine Bälle in der Hand.
Christoph hätte am liebsten einen Sprung in die Luft gemacht.
»Philo – «
»Du kannst es ruhig zugeben. Dafür lade ich dich zum Essen ein. Dann verkaufen wir deine Schuhe, sie sind zu auffällig.«
Sie betraten eine Garküche und Philo zog eine ganze Hand voll Münzen heraus: »Alles heute. Du siehst, Betteln ist ein einträgliches Geschäft, wenn man es kann. Du kannst es nicht oder du müsstest viel lernen.«
Ich kann auch nicht seiltanzen, Feuer schlucken, jonglieren, den Leuten Münzen aus der Nase ziehen, dachte Christoph.
Die Suppe in einer tiefen Holzschale war heiß, fett und dampfte, große Fleischbrocken schwammen darin. Dazu gab es ein riesiges Stück Brot und einen Holzbecher mit Wasser.
Christoph aß heißhungrig und Philo bestellte ihm gleich eine zweite Schale: »Lieber einen vollen Bauch als einen leeren Magen! Ich soll dich von Regine und Balthas grüßen. Es ist fraglich, ob sie dieses Jahr nach Straßburg kommen.«
»Und weshalb bist du –?«
»Ach, weil ich hier bin.«
Christoph erzählte alles, was er seit der Trennung erlebt hatte, auch die Flucht weg von den Juden.
»Das waren sehr nette Leute. Schade, dass ich da weggehen musste.«
»Die Juden haben es hier auch schwer. Und es wird noch schlimmer.«
Christoph war ein zunehmender Gestank aufgefallen, der ihm bekannt vorkam. »Es riecht wie in Stuttgart am Nesenbach.«
»Das sind die Gerber an der Ill. Wir sind ganz in der Nähe der Ill. Hier gibt es ein ganzes Viertel von Gerbern.«
Der Gestank wurde immer unerträglicher, je näher sie den Gerberhäusern kamen.
»Sie hängen die Tierhäute an ihren Häusern entlang der Ill auf und auch über den Straßen. Niemand will hier gerne wohnen.«
»Das kann ich mir denken.«
»Aber auch die Ill stinkt, weil sie allen Dreck und Unrat hineinwerfen. Jeder schimpft, man müsse die Ill sauber halten, aber keiner hält sich daran.«
»Das ist in Stuttgart dasselbe.«
»Das Schlimmste sind die vielen Ratten. Am widerlichsten sind die schwarzen Ratten in den Häusern.«
Sie waren jetzt in ein ganzes Gewirr von Gässchen getreten. Hier gab es nicht so viele Menschen wie in der Mitte der Stadt.
»Wenn es geregnet hat, kommst du hier kaum durch. Es ist ekelhaft. Die reichen Ratsherren kommen nie hierher, um die Zustände zu verbessern.«
Christoph schaute an den aus Holz gebauten Häusern hinauf. Es gab viele jämmerliche Hütten. Die meisten Häuser waren hier mit Stroh gedeckt, obwohl er rund um das Münster fast nur Ziegeldächer gesehen hatte. Jedes Haus hatte im Dach Gauben oder sonstige
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