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Schwarzer Valentinstag

Schwarzer Valentinstag

Titel: Schwarzer Valentinstag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
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draußen mag warten, bis er verschimmelt oder durchgerostet ist. Du musst zu den Juden, weil er dich in Straßburg überall aufspüren wird. Vielleicht nehmen sie dich ein zweites Mal auf.«
    Es roch brandig und faulig. Der Gewölbegang war viel länger, als man vermuten konnte, er krümmte sich etwas – war es ein Fluchtweg gewesen? Manchmal stolperten sie über einzelne heruntergebrochene Steine. Einmal huschte ein Schatten über sie hinweg – eine Fledermaus? Trippeln und Scharren zu ihren Füßen – Ratten!
    Zu den Juden. Christoph dachte an die Predigt des schwarzweißen Mönchs – war es eine Sünde, zu den Juden zu gehen? Aber Elieser, Abraham und Esther: Wo sollte da eine Sünde sein? –
    Eine halbrunde Rückwand, bedeckt von Moos, bildete das Ende des Gewölbes. Ein Gitter lag darüber, aus dem grünliches Licht sickerte, ein großer Haufen aus faulem Laub lag darunter.
    Philo kletterte Christoph auf die Schultern und rüttelte an dem Gitter. Zum Glück ließ es sich anheben. Dennoch war es nicht einfach, zur Erdoberfläche zurückzukehren.
    Sie standen in einem düsteren Baumgarten, dahinter ragten dunkle Gebäude auf. Christoph sah zuerst überall die lange Gestalt des krummen Bettlers hinter den Bäumen – aber kein Mensch war zu sehen.
    »Hast du gewusst, dass sich das Gitter heben lässt?« Christoph erkannte die Stiftsgebäude der Thomaskirche.
    »Nein.«
    Christoph schaute Philo von der Seite an.
    »Und wenn uns jemand gesehen hätte – «
    Philo zuckte die Schultern.
    Vom nahen Turm der Thomaskirche tönte der Stundenschlag durch die Dämmerung, aber Christoph war so aufgeregt, dass er nicht mitzählte.
    Als sie durch die dunkelnde Stadt gingen, blieb er mit einem Ruck stehen: »Ist es sinnvoll, zu den Juden zu gehen, wenn die auch verfolgt werden?«
    »So schlimm die Wahrheit auch ist, im Augenblick gibt es in ganz Straßburg keinen sichereren Ort für dich als bei den Juden. Freilich«, Philo warf einen Ball in die Luft und fing ihn auf, »wenn sie dich aufnehmen, ist ihr Schicksal dein Schicksal.«

J UDEN
     
     
     
    Die vier Männer, die Rat über ihn hielten, nahmen keine Rücksicht auf Christoph, der dasaß mit verkrallten Händen und einem trockenen Mund. Die beiden älteren erinnerten ihn an seinen Vater, nicht nur wegen der Kleidung. Ihre ganze Art war wie die seines Vaters. Sie redeten leise und meist bedächtig, die Stirne in Falten gelegt. Wenn sie eine Meinung gefasst hatten, konnten sie fast leidenschaftlich heftig werden. Es fiel kein böses Wort. Aber sie redeten hart und schonungslos – wie sein Vater. Manchmal fielen Sätze in einer gänzlich fremden Sprache. Er vermutete, dass es Hebräisch war.
    Die Männer kehrten aber immer schnell zum Deutschen zurück. Offenbar sollte Christoph alles verstehen.
    Auf der Straße hätte er keinen Unterschied zu den Christen gemerkt. Der alte Abraham trug einen weißen Bart. Die anderen waren glatt rasiert. Ihre Kleidung war schlicht, aber vornehm. Die Kleidung der Jüngeren, Elieser und Nachum, war bunt wie die der reichen Kaufleute in Stuttgart, der alte Abraham trug ein weites, dunkles Gewand wie reiche alte Leute aus der Bekanntschaft des Vaters. Nur an der Sprache der Auswanderer aus Aragon merkte man einen geringfügigen Unterschied.
    Die beiden jüngeren Männer, Elieser und Nachum, der kaum älter war als Christoph, sprachen zuerst und sie sprachen gegen ihn.
    »Gut, wir hatten ihm damals Hilfe versprochen, die wir wegen der Umstände nicht leisten konnten«, begann Elieser. »Aber da war die Lage eine andere als jetzt. Als wir ihn am Purimfest in einer Herberge aufnahmen, wussten wir nicht, wie gefährlich die Lage der Juden in Straßburg ist, dass es fast ist wie in Aragon. Wir wollten ihn nur sicher über den Rhein bringen, sonst nichts. Ich rate ab, ihn noch einmal aufzunehmen. Es ist gefährlich, einen Verfolgten aufzunehmen und den Verfolgern damit auch noch einen Vorwand mehr gegen uns zu geben. Einen Vorwand, den sie ebenso auf alle unsere Brüder anwenden werden. Wir dürfen die Väter und Brüder in Straßburg nicht noch zusätzlich gefährden.«
    Nachum nickte.
    »Es kann niemand von uns verlangen, dass wir uns in Not begeben, um gegen Not zu helfen. Und wir sind in sehr großer Not, und unsere Not wird größer, wenn wir ihn aufnehmen. Das andere habe ich schon gesagt«, fuhr Elieser fort. Und mit bedauerndem Gesicht zu Christoph: »Wir sind entschuldigt: Noch einmal, wir dürfen unsere Brüder nicht

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