Schwarzer Valentinstag
haben. Es ist die Zahl der Jahre nach der Erschaffung der Welt.«
»Wir rechnen die Zahl der Jahre nach der Geburt des Heilands«,sagte Christoph unbekümmert; »heute ist das Jahr dreizehnhundertachtundvierzig. Nach unserem Neujahrsbeginn am Weihnachtstag wird das Jahr des Heils dreizehnhundertneunundvierzig sein.«
»Die Erschaffung der Welt ist wichtiger als euer Heiland.« Nachum rümpfte die Nase.
Esther sah Christoph lange und flehend an. Dann sagte sie: »An unserem Neujahrsfest tauchen wir Äpfel in Honig und schenken sie einander, damit das neue Jahr süß wird. Und einen Tag nach Jom Kippur bauen wir die Laubhütten für das Laubhüttenfest,darin wohnen wir dann zusammen.« Ihre Stimme zitterte etwas.
Nachum sagte laut und fest: »Rosch ha Schana ist die Zeit des Gerichts. Drei Bücher werden an diesem Tag geöffnet: In das Buch des Lebens werden die Gerechten eingeschrieben, in das Buch des Todes die Gottlosen.« Er verzog den Mund. »In das dritte kommen die Mittelmäßigen.«
»Zehn Tage«, sagte Esther leise, »haben die Ungerechten Zeit durch Reue ihr Schicksal zu wenden. Bis zum Jom Kippur Tag, dem Tag der Versöhnung.«
Sie schaute Christoph eindringlich ins Gesicht, dann ging sie schnell hinaus.
Nachum redete weiter: »Zwei Tage feiern wir Rosch ha Schana. Es beginnt damit, dass in das Schofar, ein Widderhorn, geblasen wird. Damit wird zur Umkehr ermahnt. So etwas gibt es bei euch Christen nicht.«
»Doch«, sagte Christoph, »wir können auch zu Gott umkehren, wenn wir gesündigt haben.«
Es dämmerte Christoph erst langsam, warum Esther so schnell gegangen war. Er lag noch lange wach.
Wir gehören zusammen, etwas anderes wollte er nicht denken. Jude sein. So einfach ist das nicht. Er wälzte sich hin und her. Jeder Mensch hat seinen Glauben! Schon als Kind war ihm der Glaube an Jesus Christus den Erlöser gelehrt worden. Chanukka – im Dezember war Weihnachten. Wie konnte man nicht Weihnachten feiern?
Er wollte nicht daran denken. An Esther wollte er denken. Die Mutter hatte Pfefferkuchen gemacht an Weihnachten. Äpfel und Nüsse gab es und Backpflaumen, der Vater hatte einmal für jeden eine gedörrte Feige gebracht. Er starrte in die Dunkelheit. Wenn er sich bewegte, knisterte das Stroh, auf dem er lag. Die Decken waren weich, mit denen er sich zudeckte, der Strohsack, auf dem er lag, war hart.
Esther. Er wollte sich ihr Gesicht vorstellen, wie sie lachte. Er wollte ihren Kuss auf seinen Lippen spüren, aber er sah nur die Schwärze der Nacht. An Esther denken. Er drückte die Bettdecke an sich. Esther – es gab nur eins: Esther. Nichts denken, nicht daran rühren.
Der alte Abraham strich Esther über die Haare.
»Du hast nicht recht gehandelt, und das weißt du. Sonst wärst du nicht zu mir gekommen.«
»Ich habe doch noch gar nichts gesagt. Woher weißt du?«
»Liebes Kind – ich müsste blind sein. Ich müsste taub sein. Ich müsste ein fühlloser Stein sein, wenn ich nicht schon längst wüsste, was mit meinem liebsten Töchterchen geschehen ist.«
Sie drückte ihr Gesicht in die Falten seines dunklen Samtgewandes und sprach fast unhörbar: »Ich liebe ihn. Ich kann nichts dagegen tun. Was soll ich denn machen, wenn es unrecht ist?«
»Wer sagt denn, dass es unrecht ist?«
»Du, Großväterchen, du hast gerade gesagt, dass ich nicht recht gehandelt habe.«
»Liebes Kind. Liebe kann nie unrecht sein. Das musst du dir merken. Sie kommt von Gott und ist das kostbarste Kleinod, das er den Menschen geschenkt hat. Wie kann sie da unrecht sein?«
»Ach, du weißt doch. Quäl mich doch nicht.«
»Wie kann ich dich quälen? – Es kann doch nicht wehtun, wenn ich meinem Enkelmädchen sage, dass ihre Liebe niemals unrecht ist.«
»Aber etwas ist doch unrecht, du hast es doch gesagt!«
»Es ist unrecht, wie du mit Christoph umgehst.«
»Wieso? Wie gehe ich denn –?«
Abraham strich ihr sanft über das Haar: »Du hast zu Christoph gesagt, er müsse Jude werden, und dann wollt ihr heiraten. Du hast ihm die bevorstehenden Festtage erklärt und von den drei Büchern gesprochen und vom Gericht und von Reue und von Jom Kippur,von Versöhnung und von Chanukka – «
Esther hob den Kopf: »Du hast gelauscht – das tut man nicht.«
»Wie kann ich lauschen, mein liebes Kind, wenn ich mich nicht von der Stelle bewegt habe? – Muss ich dir Zeugen benennen?«
»Aber woher –?«
»Weil ich mein Mädchen kenne. Ich habe ja ein halbes Jahr Zeit gehabt, um mein Enkelkind
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