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Schwarzer Valentinstag

Schwarzer Valentinstag

Titel: Schwarzer Valentinstag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
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wie er es schaffen könnte, etwas von dem zu hören, was die Gestalten redeten, und vor allem zu erkennen, wer sie waren! Er kauerte unter dem letzten Baum vor der freien Fläche, die den Turm umgab.
    Philo sah sich um. Im Mondlicht ahnte man gegen Abend die schwarze Mauer der Vogesen. Nach Morgen hin hatte man einen überraschend guten Blick nach Straßburg hinein. Da! Fast hätte er geschrien: Klar und deutlich hob sich gegen die Schwärze der Stadt das beleuchtete Haus ab. Es waren einige Lichter zu sehen in der großen Stadt, aber das erleuchtete leere Haus war so vollständig sichtbar bis zum untersten Geschoss, dass der Sinn dieser leuchtenden Fenster es sein musste, von dieser höher gelegenen Stelle bei dem kleinen Turm gesehen zu werden. Philo glaubte sich zu erinnern: Waren nicht alle Nächte, in denen das Haus erleuchtet war, solche stillen, klaren Nächte gewesen?
    Alle rannten plötzlich auseinander, aber da, wo sie gestanden hatten, sah er einen seltsamen Feuerschein durch das Gras auf den Turm zulaufen. Er richtete sich halb auf, um das Wunder genauer zu sehen.
    Dann – eine Säule aus Feuer stieg vor ihm auf.
    Eine Welle aus Luft stieß ihn, hart wie Stein – ein Knall, der ihn bis in den Bauch traf. Er spürte den Stamm zittern, an dem er sich festhielt. Steine fielen vom Himmel, als ginge die Welt unter! Am Arm streifte ihn einer. Er war völlig taub, hatte aber einen schrillen Ton in den Ohren.
    Der Turm, der gerade noch am Nachthimmel gestanden hatte, war verschwunden. Weg, einfach weg! Er war in die Luft geflogen und dann waren die Steine heruntergefallen, als fiele einem der Himmel auf den Kopf!
    Philo zitterte und wartete hinter seinem Baum. Das Schrillen in seinen Ohren ebbte langsam ab. Nach einiger Zeit kamen die Gestalten, die er vor dem Knall gesehen hatte, wieder zum Vorschein. Sie gingen aufgeregt um die Reste des Turms herum.
    Er konnte jetzt wieder besser hören, aber er verstand kaum etwas. »Besser als erwartet«, rief jemand.
    Einmal hörte er eine dunkle Stimme: »Eindeutig bis in die Stadt – «
    Die Lichter in dem leeren Haus waren verschwunden!

B ENFELD
     
     
     
    In Scharen wanderten die Menschen zu den Resten des kleinen Turmes. In der ganzen Stadt wurde gerätselt, wie ein Turm sich über Nacht in Steinbrocken auflösen konnte. Zudem waren diese Brocken in geheimnisvoller Weise rundum in den Wiesen verstreut gefunden worden. Nur die Fundamente hockten im Boden, darüber waren noch einige kantige Mauerreste.
    »Als wären es Riesen gewesen, die mit dem Turm gespielt hätten«, sagte Herr Wangenbaum, »aber das waren keine Riesen! Ist denn niemand aufgefallen, wann der Turm verschwunden ist? Hat denn das wirklich niemand beachtet?«
    Und er fuhr fort, als die Zuhörer den Kopf schüttelten: »Es war genau in der Nacht, in der dieser Jude Menli aus Bern in unserem Diebsturm gestorben ist! Hält das jemand für einen Zufall?«
    Seine Stimme ging in Flüstern über: »Das sind die Juden, sie haben den Tod dieses sauberen Herrn Menli gerächt.«
    Und als jemand einwandte, dass der Tod des Juden doch erst am folgenden Morgen entdeckt worden sei und dass es deshalb kaum Rache gewesen sein konnte, wusste Herr Wangenbaum auch hier eine Antwort: »Zwei Dinge sind sicher: Zunächst hat der Jude Löb Baruch nach der Ratssitzung über den Juden Menli, die für uns und unsere Gäste aus der befreundeten Stadt Bern so schändlich ausgegangen ist, diesen Juden Menli in seine Familie aufnehmen wollen. Einen überführten Verbrecher! Ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie er mit dem Judenfreund Dopfschütz darüber gesprochen hat.«
    »Die halten doch alle zusammen!«
    »Richtig«, fuhr der Bäckermeister fort, »zweitens weiß ich von dem Wächter, der seinen Dienst bei dem Turm hatte«, er machte eine lange Pause und schaute seine Zuhörer an, »dass mitten in der Nacht eine Delegation der jüdischen Gemeinde versucht hat den Wächter zu bestechen und den gefangenen Verbrecher zu befreien,der nicht einmal unserer Stadt gehört!«
    »Unglaublich!«
    »Der Rat hat es untersucht – und das Schönste, die jüdische Gemeinde streitet alles ab: Der Rabbi weiß von nichts, die Ältesten wissen von nichts! Niemand weiß etwas. Der Wächter muss ein Lügner sein. Und die Christen müssen sich womöglich bei den Juden entschuldigen.«
    Es wurde gelacht.
    »Ja, lacht nur. Es ist zum Lachen, wie wir uns aufs Kreuz legen lassen; sie haben nämlich Kinder geschickt, um den Wächter zu bestechen und

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