Schwarzes Blut: Thriller (German Edition)
das brachte sie nicht übers Herz. Nicht ohne Timmy Lebewohl zu sagen. Dann fiel ihr ein, was für ein Tag heute war. Heute sollte Timmy das Schulprojekt vorstellen. Seinen Turm. Ihren Turm. Es musste doch möglich sein, Timmy zu sehen, wenn auch nur für ein paar Minuten.
Skye trocknete ihr Haar und zog sich an. Als die Vordertür hinter ihr ins Schloss fiel, hörte sie, wie Minty ihr noch etwas hinterherrief.
24
Das Messer war viel zu schwer für Junior. Er hielt den Griff mit beiden Händen umklammert, und doch zog das Gewicht des Metalls seine Arme nach unten, bis die Messerspitze im dicken Teppich hängen blieb. Junior geriet ins Stolpern und fiel mit dem Gesicht voraus in die glitschige Masse, die aus dem Bauch des dicken Mannes quoll.
Er hörte Gelächter – Ma und Pa. Starke Hände hoben ihn auf und stellten ihn wieder auf die Beine. Er hatte Blut an den nackten Zehen. Etwas Klebriges hing an seiner Wange. Wie Marmelade. Am liebsten hätte er losgeheult, traute sich aber nicht.
Der dunkle, gewaltige Schatten seines Vaters ragte über ihm auf. Er verschwand, wenn Junior ihn direkt ansah, und doch war er immer in der Nähe. Er konnte ihn aus den Augenwinkeln sehen wie einen trüben Fleck in der Luft.
Pa stupste ihm in den Rücken. »Na los. Bring’s hinter dich.«
Junior trat um den Mann herum. Die Schläuche, die ihm aus dem Körper hingen, erinnerten ihn an die rostigen Rohre eines automatischen Reinigungsgeräts, das unter dem blau schimmernden Wasser im Swimmingpool eines weit entfernten Hotels Tag und Nacht seine Arbeit verrichtete. Seine Augen reichten gerade bis zum Beistelltisch. Der abgetrennte Kopf der schwarzhaarigen Frau starrte ihn zwischen einer Pepsi-light-Dose und einer Zeitschrift mit den Bildern schöner Menschen hindurch an. Die Seiten waren mit zähem Blut verklebt. Fliegen schwirrten um den Kopf, fraßen am ausgefransten Fleisch der Kehle und schossen wieder brummend durch die Luft.
Ma und Pa hatten aufgehört zu lachen. Bis auf das Summen der Insekten war nichts mehr zu hören. Dann ein leises Schluchzen. Er umrundete den Tisch und sah das nackte Mädchen – es war vielleicht vier Jahre alt, ein Jahr jünger als Junior – auf dem Teppich neben den Überresten ihrer Mutter liegen.
Die Hände des Mädchens waren hinter ihrem Rücken gefesselt, der Mund mit Klebeband verschlossen. Sie atmete durch die Nase. Ihre großen blauen Augen waren weit geöffnet und starrten ihn an.
Mama kniete sich neben dem Mädchen auf den Boden, streichelte ihr Haar, sah zu Junior auf und lächelte ihr wunderschönes Lächeln. Durch einen Spalt in den zugezogenen Vorhängen fiel ein Sonnenstrahl und berührte eine ihrer Haarsträhnen, die in Flammen aufzugehen schien.
»Komm, mein Schatz. Komm zu mir«, sagte Mama.
Junior stand mit dem Messer an seiner Seite über dem Mädchen. Mama nahm seine beiden Hände in eine der ihren – ihre Finger waren schwarz von Blut –, dann hob sie das Messer, bis die Klinge über einem der großen Augen des Mädchens schwebte.
»Du weißt, was du zu tun hast?«, fragte Mama.
»Ja, Mama«, sagte Junior.
Mama ließ ihn los. Junior hob die Klinge mit aller Kraft ein paar Zentimeter. Er starrte in das feuchte, blinzelnde, wild zuckende Auge, legte alles Gewicht in die Klinge und fiel auf das kleine Mädchen. Er spürte einen kleinen Widerstand, dann sank er der verschwindenden Klinge hinterher, bis diese auf Knochen stieß. Junior lag auf der Stirn des Mädchens. Die Härchen ihrer linken Augenbraue kitzelten seine Haut. Heißes Blut quoll über seine Hände.
Junior ließ das Messer los, das im Kopf des Mädchens stecken blieb, setzte sich auf den Hintern und sah zu Mama auf. Sie umarmte ihn. »Oh, wir sind so stolz auf dich«, sagte sie mit der süßesten Stimme auf der ganzen Welt. »So, so stolz.«
Und in diesem Moment, als sich Mamas Parfüm mit dem Blut und dem Drogenrauch vermischte, war Junior glücklicher als jemals zuvor in seinem Leben.
Junior Cotton öffnete die Augen und starrte an die fleckige Decke. Es dauerte einen Augenblick, bis ihm wieder einfiel, wo er war.
Fünf Jahre, drei Monate, drei Tage, drei Stunden, vier Minuten und siebenundzwanzig Sekunden. Bis dato.
Die Kraft, die ihm diese Erinnerung verliehen hatte, durchströmte seinen Körper. Er lauschte den Geräuschen des erwachenden Gebäudes. Klappern, Weinen, Schreien, Stöhnen in umgekehrter Reihenfolge zu gestern Nacht, als alles um ihn herum allmählich verstummt war.
Junior setzte
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