Schwarzes Blut: Thriller (German Edition)
sich auf. Seine Bewegungen waren nun um einiges koordinierter, als hätte sich sein Körper im Schlaf regeneriert. Er legte die Handfläche auf das Pentagramm an der Wand, wobei sich die Härchen auf seinem Arm aufrichteten wie bei einer statischen Entladung. Das getrocknete Blut war fast schwarz.
Er hob den Hemdzipfel und rieb damit auf dem Pentagramm herum. Das Blut verschmierte etwas, doch wegwischen konnte er es nicht. Junior setzte sich auf die Bettkante und zog das Hemd aus. Erstaunt betrachtete er seinen mageren, ausgemergelten Körper. Die Rippen zeichneten sich hart und knochig unter der papiernen Haut ab. Blaue Adern zogen sich über seine dünnen Arme. Er stand auf und machte ein paar taumelnde Schritte. Das Gehen fiel ihm nach wie vor schwer, aber er war viel sicherer als noch am Abend zuvor.
Junior umrundete den Rollstuhl und erreichte die schmutzige Toilette ohne Brille, die eigentlich nicht mehr als ein Rohr war, das aus der Wand ragte. Unter der Stelle, an der das rostige Metall in der Ziegelmauer verschwand, hatte sich eine stinkende Pfütze gebildet.
Junior beugte die eingerosteten Knie und Knöchel und ging in die Hocke. Er zwang sich, ruhiger zu atmen, und tauchte das Hemd in das schwarze Wasser der Toilette. Dann richtete er sich wieder auf, kehrte zum Bett zurück und wischte erneut über das Pentagramm. Der feuchte Stoff weichte das Blut auf und löste es von der Wand.
Er schlüpfte in das Hemd zurück, stopfte die tropfenden Zipfel in die Hose, nahm das Skalpell unter dem Kissen hervor, versteckte es in seinem Ärmel und ließ die Arme an den Seiten herabhängen. Gummisohlen quietschten über den Fliesenboden des Korridors. Ein Schlüssel schepperte im Schloss. Mit einem Mal begriff Junior die Bedeutung seiner Erinnerung. Er hatte vergessen, welche Macht ein Kindsopfer verlieh.
25
Gene hielt Timmy die Beifahrertür auf. Das Mädchen auf dem Gehweg beachtete er nicht weiter. Erst als Timmy ihren Namen schrie und so schnell auf sie zu rannte, dass er ihn nicht mehr aufhalten konnte, bemerkte er, dass es Skye war.
Seine Unaufmerksamkeit war nicht nur der Ablenkung geschuldet (die Präsentation hatte eine Ewigkeit gedauert, in der er zwei ungeduldige Anrufe von Drum hatte abwiegeln müssen), auch Skye hatte sich verändert. Sie stand so entspannt und ruhig wie eine Athletin da. Alle Schüchternheit und Zurückhaltung der alten Skye waren wie weggeblasen. Mühelos hob sie Timmy auf und umarmte ihn.
»Lass ihn runter«, sagte Gene und marschierte auf sie zu. Skye sah Gene über die Schulter des Jungen hinweg an, starrte ihm direkt in die Augen. Timmy plapperte währenddessen drauflos und erzählte ihr, wie schön alle den Turm gefunden hatten.
»Lass ihn runter, hab ich gesagt.«
Skyes Blick folgte Genes Hand, die das Hemd hob und sich auf den Griff der Glock legte.
Ihre Augen verdunkelten sich vor Wut. Unwillkürlich trat Gene einen Schritt zurück. Irgendetwas fuhr in sie, eine Kraft, die ihren Körper anschwellen ließ. Später hätte er schwören können, dass sich die Knochen unter ihrer Haut bewegt hatten, dass sich ihr Gesicht verhärtet hatte und die Augen tiefer in die Höhlen gesunken waren.
»Aua, Skye, du tust mir weh«, sagte Timmy.
Schlagartig war es vorüber. Sie beugte sich vor und stellte Timmy auf den Gehweg zurück. Jetzt war es wieder die alte Skye, die Gene durch die dünnen blonden Haarsträhnen anblickte.
»Warte im Auto, Timmy«, sagte Gene.
»Aber du hast doch gesagt, dass Skye weggefahren ist?«
»Tu, was ich sage.«
Skye fuhr durch das Haar des Jungen. »Hör auf deinen Daddy, Timmy. Bis später.«
»Versprochen?«
»Versprochen.«
Der Junge schlenderte zum Wagen. Seine Turnschuhe schlurften über den Asphalt, die offenen Schnürsenkel schleiften hinterher.
»Was willst du hier?«, fragte Gene und trat einen Schritt vor.
»Ich wollte ihn noch ein letztes Mal sehen«, sagte sie und beobachtete, wie Timmy in den Streifenwagen stieg.
»Ich dachte, wir hätten eine Abmachung? Wolltest du nicht die Stadt verlassen?«
»Das muss bis Freitag warten.«
»Warum?«
»Weil ich dann meinen Lohn bekomme.«
»Ich geb dir Geld. Heute Abend bei Earl’s, okay?« Sie nickte mit leerem Blick. »Halt dich von Timmy fern.« Sie sah ihn an. »Das ist mein Ernst, Skye.«
Sie drehte sich um und ging davon – ein ganz normales Mädchen in einem T-Shirt und Jeans, das durch eine sonnenbeschienene Kleinstadt schlenderte. Gene ließ den Motor an. Als sie an Skye
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