Schwarzes Blut
als nächstes vorhat?« murmele ich.
Joel steht hinter mir. »Während du geschlafen hast, habe ich dir ein paar Sachen gekauft.« Er deutet auf eine Tasche, die auf einem Stuhl in der Zimmerecke liegt. »Ob sie dir passen, weiß ich nicht.«
»Danke.« Ich gehe hinüber in die Ecke und ziehe mir die Sachen an: eine Jeans, ein graues Sweatshirt. Sie passen gut. Schuhe sind keine da, aber ich brauche auch keine. Ich entdecke auch mein Messer; es liegt neben der Tasche auf dem Stuhl. Der Lederriemen, mit dem ich es mir ans Bein gebunden hatte, ist jedoch nicht dabei. Also stecke ich es mir in die Gesäßtasche. Es schaut ein paar Zentimeter heraus. Joel verfolgt meine Bewegungen, und in seinen Augen steht Angst.
»Was hast du vor?« fragt er mich.
»Ihn finden. Ihn töten.«
Joel tritt auf mich zu. »Laß uns miteinander reden.«
Ich schüttele den Kopf. »Ich kann nicht. Ich habe mit dir auf dem Pier geredet, aber du bist mir trotzdem gefolgt. Ich fürchte, du wirst mir wieder folgen wollen. Ich verstehe dich auch. Du willst bloß deinen Job tun. Und ich meinen.«
Ich wende mich zur Zimmertür. »Es wird bald vorbei sein, so oder so.«
Gerade als ich den Türknopf erreiche, stellt er sich mir in den Weg. Obwohl er doch gesehen hat, was ich getan habe. Ein tapferer Mann. Ich löse mich nicht von ihm. Statt dessen blicke ich ihm in die Augen, ohne ihn jedoch manipulieren oder kontrollieren zu wollen. Ich schaue ihn einfach nur an, so daß er auch mich einfach nur anschauen kann. Ohne Ray komme ich mir – zum erstenmal seit langer Zeit – so verlassen vor. So menschlich. Er sieht, wie ich leide.
»Wie soll ich dich denn nennen?« fragt er mit sanfter Stimme.
Ich verziehe das Gesicht. Ob es freundlich aussieht, kann ich ohne Spiegel nicht sagen. »Wenn du möchtest, sag Sita zu mir, Joel.«
»Ich möchte dir helfen, Sita.«
»Du kannst mir nicht helfen. Ich habe dir erklärt, warum, und jetzt hast du auch gesehen, warum.« Ich füge hinzu: »Ich will nicht, daß du getötet wirst.«
Er sorgt sich. Also mag er mich, mich, dieses blutige Ding. »Und ich will nicht, daß du getötet wirst. Ich habe vielleicht nicht deine besonderen Fähigkeiten, aber ich bin immerhin ein erfahrener Gesetzesvertreter. Wir sollten gemeinsam dem Kampf aufnehmen.«
»Eine Waffe hält ihn auch nicht auf.«
»Ich habe mehr zu bieten als nur eine Waffe.«
Ich lächele matt und führe die Hand an seine Wange. Erneut wird mir klar, was für ein toller Mann er ist. Er steckt voller Zweifel und Fragen, will aber trotzdem seine Pflicht erfüllen. Und zugleich bei mir sein.
»Ich kann dich alles vergessen lassen«, sage ich ihm. »Du hast gesehen, wie ich den Verstand von Eddies Mutter beeinflußt habe. Das kann ich. Aber mit dir will ich das nicht tun, selbst jetzt nicht. Ich will bloß, daß du weg von hier gehst, weg von mir. Und daß du alles vergißt, was hier passiert ist.« Ich ziehe die Hand zurück. »Das ist das menschlichste, was ich dir sagen kann, Joel.«
Schließlich läßt auch er mich los. »Sehen wir uns wieder?« fragt er.
Ich bin traurig. »Hoffentlich nicht. Und das meine ich nicht böse. Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen.«
Ich gehe zur Tür hinaus und schließe sie hinter mir. Die Nacht ist nicht so warm, wie ich es mag, aber auch nicht so kalt, wie ich es hasse. Es ist kühl und dunkel, eine gute Zeit für Vampire, um auf die Jagd zu gehen. Ray – so beschließe ich – werde ich später noch betrauern. Im Moment habe ich noch so viele andere Dinge zu erledigen.
11.
KAPITEL
Zu Fuß nähere ich mich erneut dem Lagerhaus. Aber wie Joel schon sagte: Die Gegend ist abgeriegelt von jeder Menge Polizeibeamten. Aus sicherer Entfernung schaue ich mir an, was von dem Gebäude übriggeblieben ist. Unbewußt suche ich dabei auch nach Überresten von Ray. Die Suchmannschaft arbeitet sich gerade durch die Trümmer hindurch. Alles, was hier herumgelegen hat, ist bereits aufgelesen worden und in Plastiktüten mit weißen Etiketten gelandet. Die vielen roten Einsatzlichter, die Berge von Asche, die zerfetzten Leichen und die ganze Szenerie hier bedrücken mich. Aber ich kehre nicht um. Ich denke nach.
»Eins hat er aber gemacht: Er hat Heather an seinem Schlafzimmerschrank festgebunden, stehend und mit seiner Highschooljacke an – sonst mit nichts –, und er hat sie gezwungen, die ganze Nacht über Eis am Stiel zu lecken.«
Am Abend, als ich auf die neugeborenen Vampire stieß, hatte ich einen Eiswagen ganz in der Nähe gehört, mit
Weitere Kostenlose Bücher