Schwarzes Blut
Freiwillig ist er nicht von dir weg. Ich habe ihn gezwungen.«
»Aber warum? Warum konntest du uns nicht einfach in Frieden lassen?«
»Ich habe ihn geliebt.«
»Aber du hast ihn umgebracht! Er würde heute noch leben, wenn du ihn nie angesprochen hättest!«
Ein Seufzer kommt über meine Lippen. »Ich weiß. Aber ich konnte nicht ahnen, was noch geschehen würde. Wenn ich es geahnt hätte, hätte ich mich ganz anders verhalten. Glaub mir, Pat, ich wollte dich nicht verletzen, und ihn auch nicht. Es ist einfach so passiert.«
Sie weint noch immer. »Du bist ein Monster.«
Der Schmerz in meiner Brust nimmt zu. »Ja.«
»Ich kann ihn nicht vergessen. Ich kann das alles hier nicht vergessen. Ich hasse dich.«
»Du darfst mich hassen. Das ist schon in Ordnung. Aber du brauchst ihn deshalb nicht zu vergessen. Das könntest du sowieso nicht. Auch ich könnte es nicht. Pat, kann sein, ich weiß doch, warum ich dich angerufen habe. Ich wollte dir sagen, daß sein Tod nicht heißen muß, daß es mit ihm vorbei ist. Ich bin Ray vor langer, langer Zeit schon einmal begegnet, an einem anderen Ort, in einer anderen Dimension. Und an dem Tag bei uns in der Schule, als wir uns gegenüberstanden, war es wie ein Zauber. Er war weg gewesen, aber plötzlich wieder da. Er kann bald wieder dasein, glaube ich, oder wenigstens wir können zu ihm hin, zu den Sternen.
Sie beruhigt sich wieder. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
Ich lächle, aber sie sieht es natürlich nicht. »Das macht nichts. Wir haben ihn beide geliebt, und er ist weg, und wer weiß denn schon, ob es danach noch etwas gibt? Niemand. Gute Nacht, Pat. Träum schön. Träum von ihm. Ich jedenfalls werde es, auf lange Zeit.«
Sie zögert. »Auf Wiedersehen, Alisa.«
Ich lege den Hörer auf und starre zu Boden. Der Boden ist näher als der Himmel, und von ihm weiß ich wenigstens, daß er wirklich ist. Über mir hängen doch nur Wolken, und heute abend sind keine Sterne zu sehen. Ich rufe meinen alten Freund Seymour an. Er geht gleich ans Telefon, und ich erzähle ihm alles, was passiert ist. Er hört mir zu, ohne mich auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. Das ist es, was mir an ihm gefällt. Bei all dem Geschwätz in der Welt ist ein guter Zuhörer heute seltener als ein begabter Redner. Er schweigt auch noch, als ich fertig bin. Er weiß, daß er mich doch nicht trösten kann, und versucht es erst gar nicht. Auch das respektiere ich bei ihm. Doch er begreift, wie schwer der Verlust für mich wiegt.
»Zu schade wegen Ray«, meint er schließlich.
»Ja. Wirklich schade.«
»Und du? Bist du okay?«
»Ja.«
Seine Stimme klingt fest. »Gut. Du mußt diesen Scheißkerl aufhalten. Ich glaube, du hast recht: Yaksha liegt bestimmt im Eiswagen. Alles deutet darauf hin. Warum hast du ihn nicht erst abgecheckt und mich danach angerufen?«
»Wenn er wirklich drin ist und ich ihn vor Eddie und den Bullen in Sicherheit bringen kann, bin ich wahrscheinlich nicht in der Stimmung, überhaupt jemanden anzurufen.«
»Also gut. Hol dir Yaksha. Er wird schnell heilen, und dann könnt ihr zusammen hinter Eddie her.«
»Ganz so einfach dürfte das wohl auch nicht werden.«
Seymour hält inne. »Werden ihm die Beine nicht wieder nachwachsen?«
»Das mag dich jetzt überraschen, aber in diesen Dingen hab’ ich nicht besonders viel Erfahrung. Ich glaube aber nicht.«
»Das ist schlecht. Dann muß du Eddie allein entgegentreten.«
»Und das hat beim letztenmal nicht allzu toll hingehauen.«
»Wieso denn? Du hast seine Gefährten beseitigt. Jetzt mußt du schnell sein, sonst erschafft er noch mehr und wird ihnen dann nicht mehr gestatten, sich an einem Ort zu versammeln, wo sie leicht und alle miteinander ausgelöscht werden können.«
»Mit Gewalt komme ich nicht gegen ihn an. Soviel habe ich schon herausgefunden. Er ist einfach zu schnell und zu stark. Außerdem ist er schlau. Aber das bist du ja auch. Sag mir doch einfach, was ich tun soll, und ich tue es.«
»Ich kann dir bloß ein paar Tips geben. Du mußt ihn in eine Situation bringen, in der deine Vorteile schwerer wiegen. Wahrscheinlich kann er nicht so gut sehen und hören wie du. Wahrscheinlich ist er der Sonne gegenüber empfindlicher als du.«
»Die Sonne hat ihn nicht allzusehr behindert.«
»Na ja, dann ist er vielleicht Kälte gegenüber empfindlicher als du. Bestimmt ist er das und weiß es gar nicht. Auf jeden Fall aber scheint er empfindlich zu sein, sobald es um seine Mutter geht. Wie alt ist er? Dreißig? Er ist Vampir
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