Schwarzes Blut
so konnten die beiden ersten Frauen ihre Reichtümer gar nicht finden und blieben mit nichts in der Hand zurück. Du siehst also: Das Salz war das größte der Geschenke oder jedenfalls doch das mächtigste.« Krishna hält inne. »Verstehst du diese Geschichte, Sita?«
Ich zögere. In seinen Geschichten liegen immer eine Vielzahl von Bedeutungen. »Ja. Dieses Meer hier in der Nähe ist die Schöpfung, die wir gleich betreten werden. Das Salz ist maya, die Illusion, die alle Reichtümer verdeckt.«
Krishna nickt. »Ja. Aber verstehe auch, daß diese Reichtümer nicht böse und daß die Göttinnen, die sie besitzen, nicht bloß eitel sind. Tauche tief ein in dieses Meer, und Strömungen werden es aufwühlen, die dich zu Dingen führen, von denen du dir heute noch gar keine Vorstellung machst.« Er verstummt und betrachtet erneut eine Weile den Himmel. In noch sanfterem Ton fährt er fort: »Ich habe von der Erde geträumt, und so ist sie entstanden. In meinem Traum warst auch du dort.« Seine Hand fährt mir durch die Haare, und mir ist, als würde ich ohnmächtig. »Du gehst dorthin, um Dinge zu lernen, die nur die Erde selbst dir beibringen kann. Das ist richtig, aber auch falsch. Jede Wahrheit ist paradox. Mit mir gibt es weder Gehen noch Kommen. Verstehst du?«
»Nein, Herr.«
Er zieht die Hand zurück. »Das macht nichts. Du bist einzigartig, wie die Erde. Aber im Gegensatz zu denen, die du hier vor dir siehst, wirst du sie nicht unzählige Male besuchen. Nur in unseren Träumen, in deinem und in meinem, gehst du dorthin und bleibst.«
»Für wie lange, Herr?«
»Du wirst zu Beginn eines Zeitalters geboren werden. Gehen wirst du erst wieder zu Beginn des nächsten.«
Wieder treten mir Tränen in die Augen. »Und die ganze Zeit über werde ich dich nicht sehen?«
»Du wirst mich sehen, kurz nachdem du verwandelt wirst. Und dann wirst du mich vielleicht noch einmal sehen, bevor du die Erde wieder verläßt.« Krishna lächelt. »Es hängt ganz von dir ab.«
Was er mit verwandelt meint, begreife ich nicht, aber ich habe im Moment größere Sorgen. »Aber ich will gar nicht dorthin!«
Sein Lächeln ist so leicht. »Das sagst du jetzt. Später wirst du nicht mehr so reden.« Unsere Blicke begegnen sich, vielleicht einen Moment lang, vielleicht wesentlich länger. In dieser Zeitspanne kann ich viele Gesichter erkennen, viele Sterne. Es ist, als drehe sich unter mir das ganze Universum. Aber ich habe die Anhöhe gar nicht verlassen. Noch immer starre ich Krishna in die Augen. Sind es wirklich Augen und nicht etwa Fenster zu einem Bereich in mir, den ich erst nach hartem Kampf wieder zu spüren vermag? Eine winzige Lichtkugel tritt aus seinen Augen und fließt in meine, eine lebende Welt voller Formen und Gestalten. Er flüstert mir zu: »Wie geht es dir, Sita?«
Ich fasse mir an die Stirn. »Mir ist schwindlig. Mir ist, als hätte ich gerade gelebt…« Ich unterbreche mich. »Als hätte ich schon einmal auf der Erde gelebt, wäre verheiratet gewesen und hätte ein Kind gehabt! Mir ist, als sei ich etwas anderes gewesen als ein Mensch. Kann das denn sein?«
Er nickt. »Du wirst nur für kurze Zeit ein Mensch sein. Und du hast schon recht, es ist alles schon einmal dagewesen. Das ist das maya. Du denkst darüber nach, was du tun mußt, erreichen mußt, wie du vollkommen werden mußt, um zu mir zu gelangen. Aber es gibt gar keinen Zwang, irgend etwas tun zu müssen. Du bist immer bei mir, und ich bin immer bei dir. Ja, tief in deinem Herzen steckt der Wunsch, anders zu sein als die anderen, in einem einzigen Leben das zu erreichen, wofür andere Tausende von Leben brauchen. So ist es eben. Du bist ein Engel, möchtest jedoch sein wie ich. Und ich bin Engel und Dämon zugleich, gut und böse. Ich stehe über den Dingen. Tauche tief ein in dieses Meer, Sita, und du wirst entdecken, daß die größten Reichtümer, die du findest, die Illusionen sind, die du hinter dir läßt.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Das mußt du auch nicht.« Er legt seine Flöte an die Lippen. »Ich spiele dir jetzt ein Lied, das aus den sieben Tönen der Menschhaftigkeit besteht. Aus allen Gefühlen, die du als Mensch und als Vampir empfinden wirst. Erinnere dich an dieses Lied, und du wirst dich auch an mich erinnern. Singe dieses Lied, und ich werde bei dir sein.«
»Warte noch! Was ist das, ein Vampir?«
Doch Krishna hat schon zu spielen begonnen. Ich bemühe mich, ihm dabei zuzuhören, als plötzlich Wind in der Ebene aufkommt und die Melodie
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